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BrüllFalle. Reloaded.

Könnt ihr euch daran erinnern? An die damaligen Posts zum Thema und meine TwitterHilfeschreie? Nicht zu vergessen den erstaunlichen Artikel zum Thema, der sich in einem OnlineMagazin ein paar wenige Wochen später wiederfand? Eine Zusammenschau meiner Gedanken und all eurer wertvollen Kommentare. Wenn nicht, dann bitte hier entlang.

Der Rest nehme bitte Platz und mache es sich in meinem roten CyberOhrenbackensessel bequem. Aber nur für kurze Zeit, denn:

Es ist wieder soweit. Wir sind am Wochenende in der Tat wieder in die BrüllFalle hineingetappt. Und zwar so richtig. Und davor bestimmt auch so einige Male… Diesmal aber in großer Klarheit. Wir wussten diesmal was gerade passierte. Waren uns der Gründe und dem inneren Vorgehen bewusst. Das Ventil allein hatten wir übersehen und ein Schwall lauter Wörter brach aus uns heraus, ehe wir aus der Situation aussteigen konnten.

Zuvor bei mir, dann bei ihm. Diesmal war es den Kerlen fast egal, da sie viel mehr damit beschäftigt waren, ihre eigenen Kämpfe miteinander auszutragen. Der Große befindet sich in seiner vorgezogenen Pubertät. Der Kleine will wissen, wie weit er gehen kann. Will neben seinem großen Bruder bestehen und scheint wahrhaft Freude am Ärgern zu haben. Nur den Punkt, an dem es umschlägt, den bekommt er noch nicht mit und die Situationen enden meist in Geschrei und Geweine, wo kurz zuvor noch Lachfältchen bestimmend waren.

Was nicht passiert:

  1. Nicht endendes Geschrei.
  2. Liebesentzug.
  3. Schläge.

Mein grundsätzliches Vorgehen seit einem halben Jahr:

Schnellstens selber aus der Situation herauskommen; sofern keiner der Kerle sich oder den anderen in irgendeiner Weise gefährdet. – Das klappt großartig. Manchmal fällt mir irgendein Quatsch ein und die Situation ist abgewandt. Erst danach wird versucht zu besprechen. Denn in der Situation, obwohl sie ja von der Unmittelbarkeit des Moments geprägt ist, habe ich den Eindruck an keinen der Jungs richtig ranzukommen.

Sollte das mal nicht klappen, passiert entweder

  1. (leider noch oft genug) der Tritt in die BrüllFalle – was ich als äußerst ärgerlich empfinde –
  2. oder ich befördere i.d.R. eher den Kleinen als den Großen in sein Bett, sage in ruhiger, gefasster und bestimmter Tonart – sofern das möglich ist und er ein bisschen was von meinen Worten versteht (denn er schreit) – dass er rauskommen darf, wenn er sich beruhigt hat. Danach wird besprochen.

Nach Besprechen, setzt das Sich-Vertragen, Vergeben und in den Arm Nehmen ein. Das Wichtigste überhaupt, denn: der Streit muss vom Tisch. Erst dann können wir wieder liebevoll und geliebt in die neuen Situationen eintreten. Erst so lässt sich wieder neu weitermachen. Ohne lange Gesichter. Ohne Vorhaltungen. Ohne Ansammlung schlechter Augenblick auf unserem Beziehungskonto.

Auseinandersetzungen, Streitigkeiten und Unstimmigkeiten gehören dazu. Das muss und musste ich in den letzten Jahren lernen. (Viel zu spät eigentlich.) Wie wir damit umgehen ist viel entscheidender. Und leider krieg ich das selber gerade auch mit meinen Kinder viel zu selten in der Perfektion hin, wie ich es mir von mir selber wünschen würde. Aber ich arbeite an mir und lerne durch jeden gemachten Fehler.

Zwei Alltagsmomente lassen mich diesen Artikel verfassen – mal abgesehen von dem Tritt in die BrüllFalle am Wochenende –

Als wir letzte Woche den Bus verpassten, lag das daran, dass wir einen Riesenknall hier hatten. Eigentlich war alles gut. Ich konnte mich gut auf die Wünsche des Kerls einlassen. Wir haben eine imaginäre Tasse Kaffee getrunken, „noch 5 Minuten“ gespielt, konnten Kompromisse eingehen. Wir waren gut in der Zeit. Doch dann:
„Nein. Iss wille das ers noch da reintun.“
„Jetzt gehen wir.“
Keine Antwort – stattdessen hat mich das Kind ignoriert. Schon da, musste ich mich wirklich zusammenreißen. Denn der Bus fährt. Der wartet nicht. Das Ganze schaukelte sich so hoch, dass ich nachher lauter wurde, das Kind schrie, weinte, nicht mehr kompromissfähig war und ich richtig sauer war. Ich schimpfte, dass mir noch heute die Ohren klingeln. Aber dann gab es den einen Moment und ich dachte, „Ok. Der Bus ist bestimmt weg. Wir, ich meine ich, komme wieder runter und mache uns normal fertig. Wir gehen zur Haltestellen und schauen mal, was passiert.“ Zu dem Zeitpunkt konnte ich mein Kind noch nicht wieder in den Arm nehmen, ich war noch viel zu wütend. Ich hörte auf zu schimpfen, wir machten uns fertig und als wir die Haustür öffneten, kam uns schon einer der Väter entgegen, der sein Kind zum Bus gebracht hatte. Ha! Noch hatte der Kerl die Information nicht verarbeitet, schaute aber skeptisch, weil ja das Mädchen fehlte und dieser Papa augenscheinlich in die falsche Richtung ging.

Als wir von weitem die Bushaltestelle entdeckten, war keiner mehr da. Ich ging in die Hocke und erklärte, „Die anderen Kinder sind schon alle weg.“ Das Gesichtchen verzog sich und große Traurigkeit gepaart mit einer Brise Angst blickten mir entgegen. In ruhigem, aber bestimmten Ton erklärte ich, dass wenn Mama sagt, dass wir uns schnell fertig machen müssen, das auch so ist. Denn sonst passiert sowas, und alle anderen Kinder fahren alleine in den Kindergarten, um miteinander zu spielen. „Ja, Mama.“ Ich entschuldigte mich, so laut geworden zu sein und wir nahmen uns in den Arm. Drückten uns, sagten, dass wir uns lieb haben und vertrugen uns. Dann fuhren wir mit dem Auto zum Kindergarten. Die Erzieherin sprach uns an, ob wir den Bus verpasst hatten? Ich sagte: „Oh ja. Und es hat Zuhause ganz schön geknallt.“ Der Kerl flitzte mit einem Lächeln an seinen Haken und zog sich um. Die Erzieherin hob die Augenbrauen und meinte „Davon merkt man euch aber nichts an.“ – Ich lächelte.

Wie gut! Wie gut, dass man es uns nicht mehr ansah, weil wir es bereinigt und den Groll aufeinander zur Seite geschoben hatten. Denn nur so kann ich mein Kind den Vormittag im Kindergarten verbringen oder spielen gehen lassen oder auch ins Bett bringen.

Der andere Moment, und den erlebte ich die letzten zwei Wochen häufiger, dass mir Mütter erzählten, sie würden aktuell so aus der Haut fahren. Sie gingen an die Decke, aber das würde beim Kind auch nicht ankommen. Diesen Teil kann ich so gut verstehen und obwohl ich mich selber so nicht mag, passiert es mir in den vollen Momenten, wenn der Druck groß ist. Was ich nicht verstehe, wenn die Konsequenz lautet: „Ich habe es dann bis zum Abendessen, bis zum nächsten Morgen oder zwei Tage lang ignoriert.“ Da stellen sich bei mir die Nackenhaare hoch. Ich habe das als Kind, Jugendliche und junge Erwachsene so oft erfahren, dass ich mich letztlich ganz und gar abgelöst habe. Das tut mir bis heute noch leid und weh, aber ich konnte dann nicht mehr anders.

Für mich hat das viel mit Macht zu tun. Und machen wir uns nichts vor: Wir haben sehr viel Macht über unsere Kinder. Dementsprechend behutsam sollten diese Interaktionen auch verlaufen. Wir geben den Tagesablauf vor, bestimmen an vielen Stellen ihr Leben. Wenn das Kind dann kommt, um sich zu entschuldigen, obwohl doch auch ich einen Fehler gemacht habe – durch mein Schreien und an die Decke gehen – kann ich es doch nicht einfach ignorieren. Für mich fühlt sich das genauso verletzend an wie ein Schlag ins Gesicht oder auf den Hintern.

Und die Sache mit der Macht… die macht mich gerade sehr unruhig. Die will ich eigentlich nämlich nicht haben…

8 Gedanken zu „BrüllFalle. Reloaded.“

  1. Hallo Rage,

    das ist ein so toller und reflektierter Eintrag. Ich finde mich da komplett wieder und die Gedankengänge sind die gleichen. Es ist wichtig den Kindern zu übermitteln, dass ihr Verhalten nicht gut war und nicht sie selbst. Zudem ist das Leben nicht nur schön, so lernen sie auch mal einen Krach auszuhalten und den Umgang hierzu. Später hat man auch Gebrüll im Arbeitsleben. Da ist es hilfreich nicht gleich heulend auf die Toilette zu rennen.

    Meine Tochter ist so wunderbar ausgeglichen und sie ist fröhlich. Ich glaube so viel falsch kann ich wohl nicht machen. :-)

    Liebe Grüße,
    Maren

  2. Bis zur Perfektion hinbekommen, puh. Das ist ein ganz schön hoher Anspruch. Den habe ich auch oft, aber eine bessere Mutter macht er aus mir nicht.
    Eigentlich ist es normal, sauer zu werden.
    Was wir sagen ist auch entscheidend. Wenn Du schreist „Komm jetzt sofort hier her“ richtet das vielleicht weniger Schaden an als ein cooles „Du Blödian, jetzt vertrödelst Du schon wieder den Bus. Ist ja typisch“
    Ich glaube ein systematisches „Strafen“ (was ihr ja nicht mehr – Liebesentzug etc) ist viel schlimmer als der gelegentliche (authentische) Ausrutscher.
    Vergisst Du auch, was schon viel besser läuft als noch vor x Monaten? Dafür kannst Du Dir auch mal auf die Schulter klopfen.

    1. Ja. Das vergesse ich. Dabei läuft das hier gerade echt gut. Nur mein Brüllen, wenn das dann trotzdem kommt. Perfektion ist ja gar nicht mein Anspruch. Aber ich wünsche mir dennoch mehr Reflexion meinerseits gepaart mit innerer Gelassenheit. Das wäre schön.

  3. Hallo Rage,

    das mit der Perfektion ist wirklich so ein Fluch…je mehr man sich anstrengend, desto mehr geht es nach hinten los. Ich bin auch so eine Perfektionistin und dachte, ich könnte das auf das Leben mit Kind auch ausweiten…tja, was soll ich sagen…das erste Jahr war dementsprechend Frust pur. Erst seitdem ich mir eingestanden habe, dass es keinen Sinn macht, läuft es wesentlich besser. Aber wie ich lese, steht mir die große Geduldsprobe noch bevor ;oD und etwas Mulmig wird mir schon bei dem Gedanken.
    Aber du machst mir Mut…und ich stimme dir vollkommen zu, dass es sehr wichtig ist, Streitereien schnellstmöglich wieder beizulegen und sich zu versöhnen. Mit Liebe sollte man da wirklich nicht sparen.
    Das mit dem Liebesentzug ist das Grausamste, was man einem Kind antun kann…ich musste das leider am eigenen Leib erfahren und es tut heute noch weh, wenn ich daran zurückdenke…da waren die Kochlöffelschläge vergleichsweise erträglicher, da diese Schmerzen vergingen, aber der Herzschmerz und das fehlende Begreifen, warum mir die Liebe entzogen wurde, ist tief in der Psyche verankert geblieben. Diese Mütter wundern sich dann auch noch, warum man sie später hasst und tun so, als hätten sie nichts Unrechtes getan…da könnte ich vor Wut ausrasten.
    Und auch wenn das tiefe Narben und schlechte Verhaltensweisen hinterlassen hat, bin ich umso glücklicher, dass trotz meiner Brüllattacken meine kleine Maus niemals auf ihre Liebe verzichten muss, weil ich weiß, wie tief sich dieses Gefühl in die Seele brennt.

    Ich habe mich in dem einen Jahr auch sehr verändert und das glücklicherweise in eine positive Richtung, aber trotzdem wartet noch viel (Aufarbeitungs-) Arbeit auf mich und ich hoffe, dass meine Kleine nicht zuviel von den Nebenwirkungen abkriegt.

    Ich wünsche uns Mamas auch weiterhin alle Kraft und Geduld.

    Liebe Grüße
    Anto

    1. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Ich musste mir das mit dem Liebesentzug am eigenen Leibe leider auch eingestehen. Sehr lange habe ich das abgetan. Dass das nicht so gewesen ist. Aber letztendlich war es so. Und erst seitdem ich mir das eingestanden habe, kann ich klarer ein „Nein, nicht bei uns!“ dagegensetzen. Das tut mir gut. Das ist toll. Es lässt mich durchatmen. Alles Liebe dir und deinem Schatz. Im wahrsten Sinne des Wortes…

      1. Ja…sich das erstmal alles bewusst zu werden und einzugestehen ist ein schwerer, manchmal langwieriger Weg, aber es bringt einem enorm weiter.

        Ist irgendwie seltsam, aber es scheint, als hätte es gestern mal wieder einen Klick bei mir gemacht…denn nachdem ich das alles hier gelesen, mir anschließend Gedanken gemacht und eine Nacht darüber geschlafen habe, hatte ich heute seit langem mal wieder einen total friedlichen Tag mit meiner Kleinen ;oD…ich habe nur zweimal wirklich kurz schimpfen müssen, aber ich war die Ruhe in Person und der Tag ist auch unerwartet friedlich geendet…als wäre irgendetwas von mir abgefallen…schon irgendwie surreal und schön zugleich ;o)

        Ich danke dir für alles!!! (Auch das mit dem Namen)

        Liebe Grüße und auch euch weiterhin alles Liebe!

        1. Bei mir hat es in den vergangenen Wochen sehr, sehr häufig Klick! gemacht und ich merke, wie sich alles nochmal stark verändert, obwohl es nur die Details sind, die ich beobachte und reflektiere bzw. verändere, wo nötig.

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