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Rolle des Kindes – Früher war alles anders (7)

Heute bekommen wir in erster Linie Kinder, weil wir unseren Partner lieben, weil wir eine Familie gründen wollen und um diese kleinen Geschöpfe zu lieben. In der Regel werden wir nicht schwanger, um einen Familienerben auf die Welt zu bringen, der die Firma weiterführt oder um ein weiteres Familienmitglied zu uns zählen zu können, das mit auf den landwirtschaftlich bestellten Feldern schuftet. Das heutige Kinderkriegen hat in vielen Fällen etwas sehr Romantisches. (Ungewollte Schwangerschaften und schwierige Familienverhältnisse möchte ich an dieser Stelle mal außen vorlassen. Ich bin mir darüber im Klaren, dass nicht jeder die Option hat oder hatte in harmonischen Verhältnissen aufzuwachsen.)

Trotzdem stehen wir auch heute in der Gefahr unsere Kinder zu überfordern. Vielleicht nicht auf physischer Ebene. Dafür verlangen wir ihnen psychisch, emotional und sozial in dieser schnellen Welt viel ab.

Für unsere Kinder würden wir uns aufgeben: Ja. Nicht selten versuchen wir ihnen alles zu ermöglichen, sie zu fordern und zu fördern, weil wir es gut mit ihnen meinen. Unser größtes Anliegen ist es, diese kleinen Geschöpfe, die wir aus tiefstem Herzen lieben, ‚richtig‘ zu erziehen und irgendwie groß zu kriegen. Mein persönlicher Wunsch ist ganz oft, dass sie ihre Kindheit als Kinder genießen können. Sie sollen matschen dürfen, die Welt entdecken… Mut und Stärke in sich finden und ein positives Lebensgefühl entwickeln.

Gleichzeitig fordern wir an vielen Punkten unsere Kinder dazu auf, Verantwortungen zu übernehmen oder Persönlichkeiten zu sein, die sie erst noch werden müssen. Ganz oft erlebe ich im Supermarkt, bei Freizeitaktivitäten oder in anderen alltäglichen Kontexten, dass wir unsere Kinder wie kleine Erwachsene behandeln. Ich möchte mich da nicht rausnehmen. Wir fordern sie dazu auf, sich doch ‚bitte‘ zu benehmen, wenn wir uns in der Öffentlichkeit aufhalten. Schlüsselkinder, die nach der Schule heimkommen und sich das Essen in der Mikrowelle warm machen, gab es schon zu meiner Grundschulzeit. Mütter, die sich bei ihren Kindern entschuldigen, um sich scheinbar peinliche Situationen vor anderen Eltern, den Erziehern in der Kindertagesstätte oder den Omas aus der Nachbarschaft zu ersparen, erlebe ich oft. Finanzen und ähnlich ernste Gesprächsthemen werden ganz schnell am Abendbrottisch besprochen. Das sind nur einige wenige Beispiele.

Folgende Situation mal beispielhaft geschildert: Zwei Mütter unterhalten sich nach dem Kinderturnen miteinander. Ihre Zweijährigen werden parallel dazu von ihnen angezogen. Die eine Mutter hat noch eine vierjährige Tochter, die wie wild um sie herumhüpft und ihr unbedingt etwas erzählen möchte. Als diese Mutter nicht gleich reagiert, weil mit den Schuhen des zweijährigen Kindes beschäftigt und in das Gespräch mit der anderen Mutter verwickelt, bekommt das Mädchen einen Schreikrampf und lässt sich auf den Boden fallen. Reaktion der Mutter: Sich unverzüglich und immer wieder bei der Tochter entschuldigen, nicht sofort reagiert zu haben. Reaktion des Kindes: weiteres unbändiges Schreien.

Ich bin bei sowas immer hin und hergerissen. Einerseits will ich natürlich auch auf jedes meiner Kinder gleichermaßen reagieren und eingehen. Andererseits gibt es manchmal Situationen, in denen müssen sie lernen zu warten. Situationen, in denen sie ihre Rolle als Kind erkennen müssen. Wie soll ihnen das gelingen, wenn ich sie immer wieder dem ‚Spagat‘ aussetze, dass sie einerseits Kind sind und sein dürfen? Andererseits ich sie aber wie einen großen Erwachsenen behandel, in dessen Gegenwart ernste Gespräche geführt werden, von dem Rücksichtsnahme erwartet wird und Verständigkeit, wenn ich um Ruhe bitte. (…, obwohl ich diese Ruhe gerade nicht nur erbitte, sondern einfordere?!?)

Mir geht es nicht darum Entschuldigungen gegenüber unseren Kindern abzuschaffen. Keineswegs! Es geht auch nicht darum Herzlichkeit und Liebe abzustellen. Sich entschuldigen und vergeben sind Verhaltensweisen, die ich meinen Kindern unbedingt beibringen möchte.

Meine derzeitige Erkenntnis besteht vielmehr darin, dass ich diejenige bin, die gewissermaßen vorgibt, welche Rollen meine Kinder (aktuell) in der Familie innehaben. Natürlich sind sie diejenigen, die diese Rolle füllen. Ich stecke dafür jedoch den Rahmen. Und das mache ich, ob ich will oder nicht. Bewusst oder unbewusst. Strukturiert oder losgelöst von festen Ordnungen. Deshalb ist es meines Erachtens so wichtig, diesen Rahmen für sie erkennbar zu stecken. Damit sie innerhalb dessen beschützt heranwachsen, sich zu starken Persönlichkeiten entwickeln und ihre Grenzen austesten sowie erkennen können.

Zu guter Letzt ein Beispiel aus unserer Familiensituation: Ganz zu Beginn unserer Familiengründungsphase haben wir Finanzielles und Ähnliches am Abendbrottisch besprochen. Auch noch als der Größte mit einem Jahr dabei saß. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht, weil ich davon ausgegangen bin, dass er es eh noch nicht versteht. Aber nehmen wir wirklich an, dass diese Gespräche an den Ohren unserer Kinder vorbeigehen? Ich weiß noch, dass meine Eltern das früher nicht gemacht haben. Erwachsenenthemen vor den RharbarberOhren der Kinder besprechen – das gab’s nicht! Wenn sie es – in seltenen Fällen doch mal taten – und ich den Eindruck erhielt, sie machten sich Sorgen, hat das bei mir (mit meinen vielleicht  fünf, sieben oder zehn Jahren) große Existenzängste ausgelöst. Dessen bewusst wurde ich mir jedoch erst, als ich das Buch Warum unsere Kinder Tyrannen werden: Oder: Die Abschaffung der Kindheit  (Michael Winterhoff) gelesen habe. Ein sehr lesenswertes Buch übrigens. Mir war mein Verhalten an dieser Stelle einfach nicht bewusst.

… Ich lerne noch. Mir ist nur wichtig möglichst schnell und tiefgehend zu lernen – für die Kids. Wir besprechen solche Dinge nicht mehr in der Gegenwart unserer Kinder. Sie sind Kinder. Sie müssen sich mit solchen Dingen erstmal noch nicht ernsthaft auseinandersetzen und ich will nicht, dass sie aus den bei mir erlebten Emotionen unter Umständen ganz andere Gefühle und Konsequenzen ableiten als ich vielleicht empfinde.

Was war in eurer Kindheit anders als heute? Was ist euch im Umgang mit euren Kids heute besonders wichtig?

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