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sprachlos. (2)

Weil so viele von euch so schnell auf den Post von heute Mittag geantwortet haben, kam ich den Tag über gar nicht mehr aus dem Nachdenken heraus. Als ich dann kurz vor dem Abendbrot Andreas Kommentar gelesen hatte, dachte ich, ich probier’s jetzt einfach aus. Ohne Vorankündigung. Wir beginnen unsere gemeinsamen Essen in der Regel eben gemeinsam. Das würden wir heute auch machen. Doch danach werde ich schweigen, bis die Mahlzeit beendet ist.

Was dabei geschah: Es war zunächst aufregend. Ich war in der Tat gespannt, ob irgendwem auffallen würde, dass ich nicht spreche. Wie würde ich es managen, wenn einer der kleinen Kerle das Glas Schorle mutwillig über den Tisch stieß? Wie konnte ich herausfinden, was ich ihnen aufs Brot streichen sollte? Würde mir nicht aus Versehen ein Wort rausrutschen? Würde es angenehm? Unangenehm? Nach fünf Minuten schaute ich erstmals auf die Uhr, um festzustellen, wie lange ich durchhielt. Fünf Minuten. Das war gut.

Nach etwa 10 Minuten verließ ich den Tisch, um irgendetwas aus der Küche zu holen. Als ich zurückkam, sah mich mein Mann unverwandt an und ich blickte zurück. Allerdings ohne verbal nachzufragen, wie es sonst meine Art war. „Was ist?“ oder „Warum schaust du mich an?“ oder „Sollte ich dir etwas mitbringen?“ Stattdessen musste ich grinsen und er prompt auch. Ich dachte, er hat gecheckt, was hier gerade passiert. Dem war dann aber nicht so.
„Warum grinst du mich an, rage?“
Ich grinse und ziehe unschuldig Augenbrauen und Schultern hoch.
„Häh? Was ist denn los?“
Ich schüttel den Kopf. Kann mir ein Grinsen aber nicht verkneifen.
„Seh ich doof aus?“ Er blickt in sein SpiegelBild im Fenster und streicht sich durch die Haare.
In dem Moment will einer der Kerle irgendetwas, worauf ich in der Regel verbal reagiere. Diesmal nicht.
Mein Mann runzelt die Stirn.
„Aaaah! Die Mama spricht nicht mehr.“ Er blinzelt mich an. Dann kommt schnell: „Ok, kannste jetzt machen, aber gleich ist Schluss, ok?“ Er lächelt und mimt Hilflosigkeit im Hinblick auf den weiteren Fortgang des Abends. Tisch abräumen, kleine Kerle bespaßen und dieselben schließlich komplikationslos ins Bett bringen.
Ich nicke. Doch dann huscht etwas schelmisches über sein Gesicht.
„Oder warte….“
Ich muss prusten. Er hat die Chance meines Schweigens erkannt. Ich greife nach einem Blatt Papier und einem Stift und schreibe: „Deine Chance!“
Er liest und hält den Kopf grübelnd schräg. Dann schüttelt er den Kopf. „Nee. Lieber nicht.“
Das Abendessen verläuft sehr harmonisch weiter. Irgendwie scheint es sogar so, dass mein Mann plötzlich viel eher auf die kleinen Kerle reagiert, wenn diese am Tisch eine Frage haben. Oder allein sein Nachfragen: „Schmeckt’s?“ (Ich hatte als Überraschung heute AppleCrumble gebacken. Irgendjemand musste doch nachfragen und mein Mann hat es von sich aus übernommen.) Das fand ich erstaunlich.
Nach 37 Minuten rutscht mir dann das erste Wort heraus. Der große Kerl hat sich an seiner Schorle übelst verschluckt und meint hustend „Mama?“ – „Ja?“ – „War das meine TrinkRöhre?“ … Ich schüttel den Kopf und streiche ihm beruhigend über den Rücken. Als auch ich mit Essen fertig bin, beginne ich das Sprechen wieder.

Unser AbendBrot war schön. Ich habe nicht nur geschwiegen, sondern viel mehr gehört. Es sind ja nur etwa 40 Minuten gewesen. Dennoch war es anders als sonst. Mir wurde bewusst wieviel ich in der Tat einfach so sage. „Einfach so“ reicht mir gerade nicht. Versteht mich nicht falsch. Ich will gar keine großen bedeutsamen RedeSchwalle von mir geben. Manchmal dient Sprechen „nur“ dazu, Beziehung zu gestalten. Dazu gehören auch Worte, wie „Schmeckt dir der AppleCrumble?“ Der Kerl sah mit großen Augen auf und nickte wild. Das war toll. Von daher hat auch die Frage meines Mannes an der Stelle nicht nur Raum „verbraucht“, sondern sehr sinnvoll genutzt. Ich weiß nicht, ob man diese Gedanken verstehen kann. Ich weiß selber gerade nicht so genau, was ich bevorzuge. Den Mund zu halten, nicht zu sprechen oder vielmehr dankbar zu sein, dass ich sprechen kann und dasselbe auszuüben.

Zu euren Kommentaren: Ich bin euch dankbar für eure Kommentare. Sie haben für mich persönlich weitere Fragen aufgeworfen:
1. Will ich sprechen vermeiden, um mich von anderen abzugrenzen? Weil alle anderen zu allem immer genau wissen, was sie zu sagen haben und das auch tun?
2. Was ist der Unterschied zwischen Ratschlägen und dem gewöhnlichen Sprechen?
3. Wie soll ich die Welt positiv beeinflussen, wenn ich das Sprechen vermeide?
4. Bin ich undankbar, wenn ich Sprache als ein Geschenk nicht eben als solches nutze? Ich kann sprechen, habe aus Krankheitsgründen keine Schwierigkeiten beim Reden. Ist es vermessen, sich darüber Gedanken zu machen?
5. Wozu dient Sprache? Sie scheint nicht nur ein LückenFüller zu sein. Nach dem AbendBrot heute komme ich zu der Feststellung, dass sie auch ein BeziehungsGestalter ist. Und damit wichtig.

Mein Fazit zu heute Abend: Ich kann aufs Sprechen verzichten. Zumindest zeitweilig. Es gelingt mir sogar recht gut und es ist erfrischend. Dennoch befinde ich mich gerade in einer LebensSituation, da will ich nicht sprachlos sein. (Sonst müsste ich auch das Bloggen aufgeben.)
Nach Fluchmädchens Kommentar fühle ich mich gerade sogar darin bestärkt. Schon heuet Nachmittag dachte ich „Es wäre schade, wenn ich nicht mehr sprechen würde. Schade für meine Freude am Bloggen. Schade für eure Kommentare.“ Manchmal wünsche ich mir, dass Menschen mir sagen, was sie denken. Dass sie mit mir sprechen. Mehr als SmallTalk. Mit viel Inhalt. So, wie es mir hier mit euren Kommentaren passiert.
Ich glaube, es geht mir beim Nicht-sprechen um Achtsamkeit mit der Sprache.

3 Gedanken zu „sprachlos. (2)“

  1. Toller Post! :) So wie du es jetzt geschrieben hast, kann ich dir auch komplett zustimmen. Ich denke, dass es durchaus sinnvoll ist für einen Moment mal auf Sprache zu verzichten und darüber zu reflektieren. Welchen Wert hat Sprache für mich, für andere? Dies merkt man schon in alltäglichen Situationen, daher finde ich einen längeren Zeitraum auch nicht nötig, um sich dessen bewusst zu werden.

    Generell halte ich es für sinnvoll, auch mit anderen Dingen bewusster umzugehen. Meiner Meinung nach ist selten ein kompletter Verzicht auf etwas notwendig, wenn man sich der Bedeutung bewusst ist und reflektiert damit umgeht. Letztlich hat man für sich selbst sicher am meisten davon, wenn man weiß, warum man selbst in welcher Situation etwas braucht oder eben nicht braucht.

    LG Jenni

    1. Danke euch beiden! Ich bin froh, dass dieser Post deutlicher gemacht hat, was mich an Sprache oder dem NichtSprechen und dem drumherum so bewegt.

      Und @Fluchmädchen: Ich stimme dir zu. Wir reduzieren hier ja lustig vor uns hin. Möbel, Bücher, Klamotten. In der letzten Zeit geraten zunehmend andere Dinge in den Blick. Beziehungen, Freunde, Zeit, Geld, Versicherungen… man kann alles reduzieren. Die Frage ist nur: Muss man? Oder kommt es darauf an für sich klar zu haben, worum es wirklich geht und die Dinge einfach mal reflektiert zu haben. Für sich ganz persönlich. Danke euch.

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