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Tiere essen von Jonathan Safran Foer

Eine Oma. Ein Vater. Ein erstes Kind. Ein Stück Fleisch. (Pardon ein Stück Tier.) Wollte ich den Titel von Safran Foers Buch in zehn Worte fassen, würde ich diese wählen. Das Buch ist mir bei der Suche nach anderen Büchertiteln auf verschiedenen Seiten im Netz begegnet. Als zu guter Letzt das Apfelmädchen und sadfsh das Buch in ihrem Blog erwähnten, machte ich mich in unserer Bücherei auf die Suche. Via Fernleihe hatte ich es schließlich hier liegen und begann zu lesen.

Worum es zunächst also geht: Jonathan Safran Foer beginnt sein Buch damit, dass er beschreibt, wie er sich schon ein Leben lang mit dem Essen oder auch nicht Essen von Fleisch auseinandersetzt. Mal war er Vegetarier. Dann wieder nicht. Dann wieder abstinent, um einige Monate oder Jahre später zumindest Fleisch aus artgerechter Tierhaltung zu verzehren. Er beschreibt, dass er schon einige Phasen des Verzichts und Genusses hinter sich hat. Als sein Sohn zur Welt kommt, ändert sich plötzlich alles. Jetzt will er es wissen. Er begibt sich auf eine Reise, eine Suche und nicht selten gefährliches Abenteuer nach der Herkunft des Steaks, das erst auf unserem Teller und dann in unseren Bäuchen landet.
Zunächst recherchiert er ein Jahr in der Literatur zum Thema „Tiere essen“. Dabei sind Statistiken, philosophische Texte, Werke von Menschen, die sich ebenfalls schon dem Thema gewidmet haben. Danach steigt er gemeinsam mit Mitgliedern der PETA in Tierfabriken ein, erlebt, wie einem Küken die Kehle durchgeschnitten wird und andere Lebewesen mit ihren verätzten Augen, ihrem blutig und eitrig zerfetzten Gefieder zurückgelassen werden müssen. In den Fabriken gilt: Nicht reden! Kein Tier anfassen. Die Gefahr einer Infektion mit lebensgefährlichen Keimen ist einfach zu groß. Safran Foer versucht sich ein eigenes Bild von dem zu machen, was der OttoNormalVerbrauch nicht zu sehen bekommt. Auch auf Anfragen nicht zu sehen bekommen soll.
Außerdem führt er Interviews. Mit Menschen am Fließband im Schlachthof oder mit Viehzüchtern, die jedes ihrer Rinder kennen. Während seiner Suche lernt er Menschen kennen und schätzen, die Tiere züchten und halten, um sie zu essen. Mit grünen Wiesen, Freilauf und Würde. Dennoch kommt er zu seinem ganz eigenen persönlichen Entschluss, was das Tiere essen angeht.

Beim Tiere essen geht es um mehr als eine bloße Zusammenschau der grauenhaften Idee von Massentierhaltung. Es stellt sich heraus, was Essen ist. Essen ist mehr als die Versorgung mit allen lebensnotwenigen Nährstoffen. Es ist intim. Persönlich. Traditionell. Mitunter seltens von Vernunft gesteuert.

Was ich toll fand: Mir gefällt seine authentische Art wie er sein Buch verfasst hat. Ich kann die Intention, im Hinblick auf die eigenen Kinder sehr gut nachvollziehen und finde mich gedanklich an vielen Stellen wieder. Auch die Kreativität, mit der er sein Buch zusammengestellt und layouten gelassen hat, gefällt mir sehr gut. Und natürlich der wertvoll recherchierte Inhalt.

Was ich schwierig fand: Manchmal fiel es mir schwer, mich auf seine Gedankenketten einzulassen. Ich hatte zu Beginn des Buches Inhalt erwartet, der sich gleich mit Massentierhaltung und den dortigen Hintergründen auseinandersetzt. Safran Foers Einstieg ist jedoch der, dass Essen an sich und im speziellen das von Tieren sehr traditionsgebunden ist. Er führt hier viele Erinnerungen und Situationen aus seiner eigenen familiären Bindung, z.B. zu seiner Großmutter an. Die Hintergründe finden sich erst im weiteren Verlauf seines Buches wieder.

Mich haben sie sehr erschüttert. Fleisch aus Massentierhaltung ist für mich seitdem ein NoGo. Egal, ob bio oder nicht. Die Umstände scheinen sich nicht groß zu unterscheiden. Aus ethischen Gründen, mit meiner Sicht der Welt und meinem Wunsch meine Veranwortung auszuüben, kann ich nicht anders, als auf das Fleischessen vorerst zu verzichten. Mit vorerst meine ich, dass ich erst wieder lernen muss, zutiefst wertzuschätzen, was Fleisch eigentlich ist. Was das für ein Tier bedeutet. Es bedeutet das Ende eines Tieres. Auf Knopfdruck. Fleisch ist immer verfügbar. Im Supermarkt. Im FastFoodRestaurant. Fleisch landet immer auch auf dem Müll. Damit hat nicht nur eins der Tiere völlig umsonst sein Leben gelassen.
Am allermeisten macht mich wirklich zornig, dass ich mich in gewisser Weise zum Komplizen der NahrungsmittelIndustrie habe machen lassen. Natürlich habe ich schon von katastrophalen Zuständen in Schlachthöfen oder MassentierhaltungsBetrieben gehört. Natürlich gab’s seitdem nur noch Eier aus dem BioLaden. Aber wie schnell kann man dieses irgendwo mal aufgeschnappte Wissen ausschalten?! Wie schnell ignorieren?

Mein Fazit zum Buch: Ja, ich musste mich erst an seine Art des Schreibens gewöhnen. Dem Autor eine Chance zu geben, lohnt sich beim Inhalt und der Thematik des Buches alle mal. Nervenaufreibend und befreiend. Erschütternd und antreibend. Zum Weinen bringend und zornig machend. Fundiertes, recherchiertes Wissen eines FamilienVaters, der sein Wissen aufgrund einer ganz bestimmten Intention zusammengetragen hat. Für den Essen mehr ist als Energieaufnahme. Der sich gegenüber fundiert AndersDenkenden wertschätzend positionieren kann. Autor und Buch stellen einen wertvollen Beitrag fürs Tiere essen dar. Lesenswert.

10 Gedanken zu „Tiere essen von Jonathan Safran Foer“

  1. Ich habe dieses Buch erst spät gelesen, d.h. nachdem ich mich schon anderweitig informiert habe und meine Konsequenzen bereits gezogen hatte. Trotzdem fand auch ich dieses Buch lesenswert, denn die Fakten erfreuen und überzeugen einen.
    An der deutschen Ausgabe ist mir besonders positiv aufgefallen, dass die Fußnoten sehr ausführlich sind und sich auf Deutschland beziehen. Die USA ist zwar unglaublich, was das Geschäft mit dem Tier angeht, aber Deutschland kann auch stolz auf seine „Errungenschaften“ sein.
    Ich hatte auch mal in einer Rezension gelesen, dass „Tiere essen“ wie auch „China Study“ ein Manifest für den Vegetrismus und Veganismus sei, was ich persönlich aber nicht so empfunden habe, aber wenn man will, kann man so einiges reinlesen, was gar nicht da ist.

  2. Ich finde den Gedanken, man mache sich zum Komplizen, echt schwierig. Natürlich, ich hab ihn selbst immer wieder gedacht, auch, als ich noch Fleisch gegessen habe und nur grob bescheid wusste.
    Diese Ausmaße, die Safran Foer darstellt, sind von außen kaum vorstellbar. Warnungen oder Anspielungen können nicht einfangen, was tatsächlich passiert, daher sollten wir meiner Meinung nach unser Schuldbewusstsein in diesem Fall nicht zu sehr beachten. Was wir mit dem Wissen machen ist viel wichtiger und ich finds vernünftig, dass du nicht einfach mit allem sofort abschließt, sondern die Situation gut bedenken möchtest.

      1. Weil es uns im Weg stehen kann. Ich meine ja nicht, dass es abgestellt werden soll, aber potenziell ist die Schuld an der Massentierhaltung in ihrer extremsten Form eine ziemlich große Bürde und die Kraft, die man in deren Bewältigung stecken müsste, um mit sich selbst wieder ins Reine zu kommen, ist deutlich besser in Gedanken zur Veränderung unseres Handelns, des Systems, oder auch die Kommunikation des Problems investiert.
        Also: Ja, wir haben einen Anteil und er ist gravierend, aber statt sich in Selbstmitleid und Schuldgefühle zu ergehen, sollte man mehr in die Zukunft blicken.

        1. Ah, danke.

          Das sehe ich grundsätzlich ähnlich. Sich über den Fehler von gestern ärgern (etc) ist sinnlos. Morgen dran zu denken und ihn nicht wieder zu machen sollte die Zielsetzung sein.

          Ich finde auch, dass Leute die diese Schuld schiene fahren, oft mit dem moralischen Zeigefinger gegenüber anderen auftreten und schnell so eine „ich bin was besseres Aura“ bekommen – wahrscheinlich als Kompensation für die Schuldgefühle?!
          Damit gewinnt man halt auch keinen Blumentopf, wenns um die Überzeugung von besseren Handlungsalternativen oder Verbreitung einer Idee geht.

          Insoweit ist dein Punkt nicht nur auf das Individuum bezogen, sondern wirkt sich sogar auf die gesamte Themenwahrnehmung in der Gesellschaft drastisch aus.

          1. Was sdfsh sagt, finde ich auch. Und zwar in allen anderen Belangen auch: Umweltschutz, Mitgefühl mit anderen Menschen und Tieren, usw.

            Statt sich in Schuldgefühle zu verlieren, zu glauben, man trage die gesamte Last der Welt auf seinen Schultern sollte man pragmatisch sein: Was kann ich ohne asketische Aufopferung tun, um der Wandel zu sein, den ich mir für die Welt wünsche?

            In vieles kann man auch einfach reinwachsen, es muss nicht immer mit dem Kopf durch die Wand, von heute auf morgen. Manche Dinge fallen einem leichter, da kann man sich reinstürzen, andere Dinge halt schwerer und da braucht man sich nicht quälen.
            Das ist eine Aussage, die speziell für uns idealistische Weltveränderer gilt. Denn es gibt genug Leute, die sich in billige Ausreden flüchten und ihre Bequemlichkeit und Ignoranz dann wieder ins andere Extrem treiben. Ich gehe aber davon aus, dass solche Leute hier nicht mitlesen ;)

            Das ist doch auch in der Sozialarbeit so oder wenn Freunde und Verwandte mit Problemen zu einem kommen: Man muss seine eigenen Grenzen kennen. Man kann gerne helfen, soll es bitte auch, aber man ist kein Psychotherapeut. Und man muss sich Ausgleich schaffen, nicht rund um die Uhr mit Problemen befassen.

            Das Buch von Foer hab ich auch gelesen. Es ist zwar eine gute Informationsquelle, aber halt nicht so überzeugend. Ich finde, dass man sich vor geschriebenen Wörtern viel besser distanzieren kann als vor Bildern/Videos.
            Außerdem hatte ich immer diese beiden Gedanken im Hinterkopf: a) Die SItuation hier in Österreich – ist die jetzt doch ein bisschen besser als in Deutschland/USA? Schließlich haben wir zB Toni’s Freilandeier und die sollen ja angeblich das höchste Tierschutzdings in ganz Europa haben? b) Das ist ein amerikanischer Autor. Ich kenne die amerikanische Tendenz selbst von Sachbuchautoren und Wissenschaftlern, immer so ein bisschen auf Skandal schreiben zu wollen, ein bisschen Polemik ist da immer dabei.
            In meinem Umfeld hat sich auch kaum wer von dem Buch vom Fleisch essen abhalten lassen…
            Wobei natürlich Foer geschrieben hat, er will nur informieren, mündiger Bürger usw. und jeder soll seine eigenen Folgen draus ziehen.

  3. Dieses Buch habe ich (noch) nicht gelesen.

    Mehr als auf- und wachgerüttelt haben mich jedoch in der vergangenen Woche vor dem Hintergrund „Essen ist mehr als die Versorgung mit allen lebensnotwenigen Nährstoffen.“ folgende drei Bücher, die ich als Anregung zum Nachdenken ebenfalls gern empfehlen möchte.

    Michael Pollan: Lebens-Mittel
    http://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Lebens-Mittel/Michael-Pollan/e293673.rhd

    David B. Agus: Leben ohne Krankheit
    http://www.piper.de/buecher/leben-ohne-krankheit-isbn-978-3-492-05576-5

    Hannes Jaenicke: Die große Volksverarsche
    http://www.die-grosse-volksverarsche.de/das-buch/

    Vielen Dank für Deinen Post und viele Grüße,
    Anja

  4. @sadfsh: Ich hoffe, ich habe nicht den Eindruck hinterlassen, in meinem SchuldBewusstsein zu vergehen und dahinzusiehchen. Für mich ist die Veränderung meines Handelns und die Kommunikation des fehlerhaften Systems aber gerade das: ein Beginn der Bewältigung dieses fehlerhaften Systems. Ich habe die Hoffnung, dass ich als Einzelperson zu Kreisen anstecke. Wie ein Stein, der ins Wasser fällt. Um es mal irgendwie bildlich auszudrücken.

    @Anja: Oh ja. Die Rezension von Michael Pollans Buch steht hier noch in meiner Warteschleife. Eigentlich hätte die vorher drankommen sollen. Doch dann hat mich „Tiere essen“ so erschüttert… Ich konnte nicht anders.

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