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WWOOFen. Station Drei. (3) Hemmschwellen überwinden

Für jeden gibt es ganz, ganz unterschiedliche Hemmschwellen, wenn es in so ein Projekt geht, wie das von uns im Sommer. Der eine mag Schwierigkeiten mit finanziellen SicherheitsGedanken haben. Der andere würde am liebsten alles ganz genau durchplanen, muss aber damit zurande kommen, dass er nicht jede Nacht auf dem jeweiligen Campingplatz schon buchen, geschweige denn als Familie mit kleinen Kindern vorplanen kann. Denn dann wird eines mal krank oder man verspätet sich einfach auf der ewig langen Autobahn Richtung Norden. Wieder andere empfinden den permanent neuen Kontakt und die immer wieder neu anlaufende soziale Interaktion mit „fremden“ Menschen als herausfordernd, vielleicht sogar hemmend. Dann gibt es da noch Hemmschwellen bzgl. des Essens und so weiter und so fort. Ich hatte mich aufgrund meines schwangeren Zustandes vor allem mit geruchlichen und hygienischen Hemmschwellen auseinanderzusetzen.

Daher hatte ich wahnsinnig großen Respekt vor den uns in Aussicht gestellten Plumpsklos auf den jeweiligen WWOOFing-Stationen. Doch nach dem Abenteuer und glücklicherweise auch schon währenddessen, durfte ich feststellen, dass die PlumpsKlos nun wirklich nicht meine größte Hemmschwelle, geschweige denn ein Problem sein mussten. Wir finden diese Art des Sich-Entledigens inzwischen als eine sehr hygienische. Zumindest im Vergleich zu einer defekten SpülToilette.

Dennoch hatte ich für mich persönlich durchaus hygienische Kompromisse einzugehen und merkte regelmäßig, wie ich mich innerlich stark überwinden musste.
Vorab: Während des Studiums hatte ich einen sehr intensiven HygieneFimmel. Es grenzte schon annähernd an neurotische Verhaltensweisen, wenn ich mir das so im Rückblick anschaue. Hände waschen noch und nöcher. Für alles irgendwelches DesinfektionsZeug in der Handtasche oder im Putzschrank. Ich will gar nicht mal sagen, dass wir viel mehr Putzzeug hatten als andere Haushalte. Wenn ich in so manchen Haushalt unseres Projektes geschaut habe, wurde mir bewusst, dass wir heute, in Deutschland sehr viel weniger Flaschen und Putzmittel besitzen. Dennoch ist mein Umgang damit vielleicht ein anderer.

Früher musste alles nach dem Putzen noch desinfiziert werden. Nach jedem mal Spüle zur Essenszubereitung verwenden, wurde alles geschrubbt und desinfiziert. Im Zuge des Reduzierens hat sich dieses Verhalten von ganz alleine reduziert. Nicht, dass ich unreinlicher und schlampiger geworden wäre. Ganz und gar nicht. Aber mir kam der Gedanke, dass dieses viele, viele Säubern und Waschen vermutlich auch nicht das Gelbe vom Ei sein konnte. Vor allem dann nicht, wenn ich mit meiner Familie in einem gesunden und starken Haushalt leben wollte.

Heute läuft das bei uns anders. Das Desinfektionsmittel wird nur dann aus dem Schrank herausgeholt, wenn einer von uns am MagenDarmInfekt erkrankt. Dann wird regelmäßig die Toilette damit gereinigt, um möglichst schnell diese Viren loszuwerden. Wäsche wasche ich in der Regel höchstens auf 60°Grad. Es sei denn es besteht Anlass auch mal bei höheren Temperaturen zu waschen: Flecken, langes Zurückliegen des nicht so heißen Waschens oder die Erkrankung eines Familienmitgliedes. Die Küche wird regelmäßig mit Spüli ausgewaschen und mindestens einmal die Woche schütte ich heißes Wasser übers Abtropfbecken. Fleisch gibt es in unserem Haushalt nur noch äußerst selten. Hierbei habe ich oft das Bedürfnis alles gut reinigen zu müssen. Aber auch hier belasse ich es inzwischen bei dem oben genannten Vorgang: Spüle direkt waschen und mit kochendem Wasser übergießen. Das Bad wird einmal die Woche geputzt. Saubergemacht wird nur noch ausschließlich mit ÖkoWasch- und Putzmitteln – der Umwelt zuliebe.

Diesen Sommer, in den anderen Haushalten sah das anders aus. Da gab es dann auch Herangehensweisen, die mich immer wieder neu herausgefordert haben. Nicht nur bei Station Drei, aber auch. Zum Beispiel gab es ein Waschbecken, in dem der Jüngste regelmäßig gebadet wurde. Eigentlich ein Spülbecken, das von der alten Küche noch in dem Raum, nahe der Wickelkommode erhalten geblieben ist. Nachdem der Kleine sich mal etwas stark vollgemacht hatte, wurde er kurzerhand in dieses Becken gesetzt und gewaschen. Danach konnte es sein, dass der Papa mit einem frisch geangelten Fisch zum Abendessen nach Hause kam und ihn gleich im selben Becken enthauptete und die Innereien entnahm. Umgekehrt war es auch mal so, dass der Vater zuerst am Becken stand. Er nahm die zwei Fische aus, das benutzte Messer lag noch am Rand – natürlich nicht in Reichweite des Kindes – und der Kleine wurde unmittelbar danach in der Spüle gebadet. Das mal eben ausgespülte Becken diente dann wieder als „Badewanne“ und die ausgenommenen Innereien lagen in der Plastiktüte daneben.

Ich gebe zu, ich mag an dieser Stelle innerlich „überreagieren“. Dennoch hat es mir regelmäßig viel abverlangt, über solche Dinge hinwegzusehen. Und das den gesamten Sommer hindurch, egal auf welcher Station. Auch als das Schaf geschlachtet wurde und dessen Fleisch auf dem normalen HolzKüchenTisch zugeschnitten wurde. Zum Abendessen wurde der Tisch lediglich mit einem feuchten Lappen abgewischt. Oder die Gläser, die schmierig aus dem Schrank kamen. Oder der Lappen, der so aussah und roch, als sei er  schon ein halbes Jahr in Verwendung und sich auch so anfühlte. Oder der Umgang mit zubereiteten Lebensmitteln und deren Aufbewahrung. Kühlschränke, Töpfe, Geschirr und Besteck… Das waren alles so Sachen, mit denen ich kämpfen musste.

Auf diese Dinge freute ich mich im Hinblick auf unser Leben in Deutschland. Die Kompromisse, die ich an dieser Stelle eingehen musste, fand ich

a) sehr anstrengend.
b) erforderlich um noch ein wenig mehr Gelassenheit in diesen Dingen zu gewinnen.
c) erhellend, weil ich erkannt habe, wie viel ich mich eigentlich schon von diesem neurotischen Desinfizieren gelöst und außerdem festgestellt habe, wie es bei uns in der Familie läuft. Und diese Art mir dennoch am liebsten ist. Ich sie beibehalten möchte.
d) gut, um zu lernen, sei einzugehen.

Und ihr so? Was wären eure voraussichtlichen Hemmschwellen, wenn ihr über so ein Projekt nachdenkt? Viele von euch haben sich einen Artikel zu diesen Hemmschwellen gewünscht. Was habt ihr erwartet, worüber ich schreiben würde?

7 Gedanken zu „WWOOFen. Station Drei. (3) Hemmschwellen überwinden“

  1. Spannend. Ich denke da hätt ich auch bei einigen Sachen schwer geschluckt.
    ich finds beeindruckend dass du so rational und konstruktiv damit umgehtst.

    Erwartet hätte ich eh eher Themen wie Töten von Tieren, (erzwungene), Sozialkontakte, (erzwungene) Intimität … und ja, auch Hygiene

    Schön dass du hier so ehrlich bist.

    1. Oh ja. Intimität. Zu viert immer und überall aufeinander zu hängen… Das war mit Sicherheit auch herausfordernd. Aber wir haben es genossen, weil es so anders zu unserem sonstigen alltäglichen Leben war; vermute ich.

      Tiere töten: Man hat uns definitiv nicht gezwungen. Ich war sowieso mit dem kranken Kind beschäftigt und habe mich gar nicht am Schafe schlachten beteiligt. Mein Mann hatte bei jedem Schritt den Gedanken im Kopf: „Jetzt gleich geht’s bestimmt nicht mehr!…“ Und irgendwie war es dann machbar. Aber um es ganz deutlich zu schreiben: Wir wurden nicht gezwungen. Es war eher die Anfrage: „Könnt ihr euch das vorstellen? Wie geht es euch damit? Wenn’s gar nicht geht, kein Thema!!“ Und wir hatten auch beide das Gefühl, dass wir völlig frei in unserer Entscheidung waren. Aber dazu gibt es einen weiteren Artikel. Der wird sich dann aber nicht mehr in dieser WWOOFing-Reihe befinden. Dafür ist er irgendwie zu grundsätzlich.

      Danke für dein positives Feedback. Ich hoffe, du bleibst mir als Leserin erhalten, auch wenn wir uns fürs Schafe schlachten entschieden haben…

      1. Hallo rage,
        ich lese deinen Blog sehr gerne und das wird sich vermutlich auch in Zukunft nicht ändern.
        Auch wenn ihr Schafe geschlachtet habt. Ich habe sehr großen Respekt davor dass ihr das durchgezogen habt. Ich glaube nicht dass ich es könnte, was unter anderem ein Grund dafür ist dass ich Vegetarier wurde.

        lg
        iris

        1. Da bin ich beruhigt. Ehrlich!

          Und die Sache mit den Schafen und so… da gibt’s noch einen Artikel zu… aber eben außerhalb des WWOOFens. Es ist so ein grundsätzliches Thema. Irgendwie. Ich weiß auch nicht.

  2. Beim Thema Hygiene kommt mir in den Sinn (das ist jetzt sehr weit assoziiert, aber egal):
    Wir waren am Wochenende zu Besuch auf einem Bauernhof. Ein Traum für meinen Mann und Kind ;-)
    Wir haben es genossen, alle Arbeiten auf dem Hof beobachten zu können.
    Meine Tochter ist knapp 2. An alleine herumlaufen lassen war nicht zu denken: überall Löcher, in die Gülle abfließen konnte, Kleinkind-ungeeignete Zäune, Boden-Roste, schnell fahrende Traktoren, …

    Mich würde interessieren wie ihr das gemacht habt, diesen Sommer. Wie alt sind Deine Kinder und wie „frei“ konnten und durften sie sich bewegen auf dem jeweiligen Hof-Gelände?

    1. So weit weg finde ich die Assoziation nun wirklich nicht. Die ersten zwei Wochen unseres Projekts waren wirklich anstrengend. Wir waren noch total durch den Wind von den Aktionen und Vorkommnissen in Deutschland. Außerdem befanden wir uns plötzlich eben draußen. Im Freien. Wir waren nur hinter den Jungs her, weil uns irgendwie noch das Gefühl dafür fehlte, wie weit können wir sie gehen lassen und und und.

      Schlussendlich haben wir sie im Laufe der Zeit immer mehr machen lassen. Das lag aber auch daran, dass sie sich in die neuen Situationen, Umfelder und Gegebenheiten eingefunden hatte. Das hätte in der ersten Woche noch nicht funktioniert. Und obwohl sie sich eingefunden hatten, hat sich der jüngste (2) in der letzten Woche vergiftet. Zumindest gehe ich davon im Rückblick aus. Zunächst sah es nach einem Magen-Darm-Infekt aus. Aber keiner der anderen hatte auch nur Anzeichen von Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall. Ich vermute, dass er in einem der wenigen unbeobachteten Momente eine Beere geschluckt oder an einem Pilz geleckt hat. Ich weiß es letztendlich nicht. Doch allein dieser Umstand hat mich damals in Schweden und auch heute die Entscheidung treffen lassen, dass ich meine Kinder so sehr im Auge und an der „kurzen Leine“ halte, wie mein Bauchgefühl es mir empfiehlt.

      Das war nämlich so eine andere Sache. Wir trafen nicht nur auf Menschen, die irgendwie anders lebten. Sie legten auch unterschiedliche Erziehungsmaßnahmen und Erwartungen an uns als Eltern an. Vor allem in der Familie fällt mir dieser Punkt noch heute immer wieder auf. Großeltern haben uns anders erzogen. Anders belohnt, bestraft, was auch immer. Aber ich bin diejenige, die mit den Konsequenzen leben muss. Deswegen versuche ich mich möglichst frei davon zu machen, wie andere es machen. Ich habe mich nach dieser Aktion mit dem Jüngsten lange gefragt, wie sehr ich Schuld trage? Ob ich es hätte verhindern können? Ob es ein Pilz oder eine Beere war? Schlussendlich bin ich froh, dass wir so glimpflich davon gekommen sind. Eine Nacht übergeben und am nächsten Tag ein hochroter Kopf. Wir sind nochmal gut davon gekommen.

      Zu deiner Frage: Ich denke, dass wirst du entscheiden müssen, wie viel Freiraum du deinen Kindern schenkst. Gemeinsam mit deinem Partner. Auch auf so einem Bauernhof. M.E. tut Freiraum gut, aber Kinder müssen auch lernen damit umzugehen. Vertrauen spielt eine große Rolle und natürlich der Entwicklungsstand deines Kindes. Der Große scheint es verstanden zu haben. Hoffe ich. Ich will mich jedenfalls von der Lockerheit anderer Eltern nicht verleiten lassen, gegen mein Bauchgefühl entscheiden zu müssen und kann verstehen, wenn du dein Zweijähriges nicht frei rumlaufen lässt.

      1. danke für die Antwort, rage.

        Es ist wahrscheinlich auch ein Unterschied, was die Kinder gewöhnt sind. Ein Wochenede ist keine Woche ist kein Monat ist keine ganze Kindheit z.B. auf dem Bauernhof.

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