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Zeit zum Nachdenken

Wenn „andere“ Zeit zum Nachdenken benötigen, dann zieht es sie in der Regel nach draußen, ein Spaziergang an der frischen Luft oder aber eine Runde laufen, Yoga, ein stiller Raum, Meditation. Manche gehen „Shoppen“ oder zum Sport ins FitnessStudio. Wieder andere gehen ins Bett und denken nach. So mancher schiebt die Gedanken vielleicht auch beiseite und macht weiter. Womit auch immer. Nicht meine Favoriten. Heute habe ich erneut festgestellt, dass das bei mir ganz oft nicht geht. Ich würde so gerne spazierengehen und dann Antworten oder klare Gedanken haben. Aber entweder ich komme gar nicht aus meinem GedankenKarussell heraus oder ich lande rücklings auf einer Wiese und starre in den grenzenlosen Himmel. (Wobei das in der Tat auch sehr gut tun kann.)

Kinder benötigen ja in der Regel ein Kuscheltier zum Einschlafen. Oder den Daumen oder das LieblingsSchnuffelKissen. Manche haben Angst im Dunkeln und brauchen einfach nur ein wenig Licht. (Ihr kennt bestimmt diese kleinen Lampen, die man in die Steckdosen steckt und die ein fades Licht abgeben. Oder man lässt einfach die Tür einen Spalt offen stehen.) 
Ich lebe derzeit mit Kerlen zusammen, die brauchen eine Salatschüssel im Arm oder aber ein ausrangiertes Telefon. Nun ja. Wenn ich nachdenken muss, dann schneide ich mir meine Haare, streiche irgendeine Hauswand oder fange an aufzuräumen. Ich gebe zu: Das Aufräumen kommt dem Verdrängen sehr nahe. Aber das andere befreit ganz erstaunlich meinen Kopf und macht Gedanken wieder „denkbar“. Heute hab ich beim Nachdenken Marmelade gekocht. Geht also auch. Allerdings auf eigene Gefahr. Mir ist ein wenig Marmelade ins Gesicht gespritzt. Das war heiß. grmpf

Was eine grundsätzliche, sich in den letzten Tagen wiederholende Erkenntnis war: Ich muss nicht meditieren, um über eine Sache Klarheit zu erlangen. Phew. Das geht auch so. Zum Glück. Ich bin erleichtert. Denn bislang habe ich Wichtiges oft vor mir hergeschoben. Den Brief an eine liebe Freundin. Das Erlernen der Nutzung einer NähMaschine. Das Verfassen einer Kündigung für den Turnverein. (Reduzieren beinhaltet schließlich auch solche Dinge: Versicherungen, Konten, Mitgliedschaften… wenn man sie denn hat.) Einen Kommentar auf einem anderen Blog oder eine einfache Email. Ich nehme seit dieser gehäuft eintretenden Aha!-Momente die Dinge tatsächlich, wie sie mir vor die Füße fallen.

Da war noch mehr Aha!:

1. SchubladenDenken trennt. Bislang hatte ich das Gefühl, dass wir Menschen Schubladen (vorwiegend) brauchen, um uns im Leben zurecht zu finden und miteinander klarzukommen. Aber was ist, wenn man sich plötzlich in Schubladen wiederfindet, in die man nicht gesteckt werden möchte? Oder aus denen man nicht rausgelassen wird? Oder die mit einem bestimmten Mechanismus versehen sind, z.B.: Mutter. Öko. Vegetarier. => Langweilig, kein UnterhaltungsThema existent. Lediglich nett anlächeln erforderlich. Nicht schön. Da mach ich zu. Und der andere bestimmt auch.

2. Vegetarier vs. kein Fleischesser. Wirklich. Darüber haben wir uns gestern hier Zuhause unterhalten. Denn irgendwie werde ich als Vegetarier in eine Schublade gesteckt, die sich vor allem dadurch kennzeichnet, dass Menschen mein Essverhalten zum GesprächsThema bei Mahlzeiten machen, ohne mich direkt anzusprechen. Oder mit den Augen rollen, leicht (fast schon süffisant) lächeln. Demnächst sage ich nur noch: „Nein danke! Hab ne StoffwechselErkrankung, die durch Fleisch meine ZehNägeln kaputt macht…“

3. Ungenannte GesprächsThemen. Warum geht eigentlich das und nicht das durch die Medien. Ich frage mich, was für eine Rolle spielen Medien eigentlich an diesen Stellen und was habe ich für eine Position zu dem Thema. Z.B. HomoPhobie und HomoSexualität. Habe mich bislang noch nicht viel mit Menschen darüber unterhalten. Aber… mal ehrlich: Über meine HeteroSexualität auch noch nicht. Zu manchem halte ich vielleicht wirklich doch lieber den Mund.

4. Missgunst im Netz. Mich hat es bisher noch nicht so richtig getroffen. Aber erneut erlebe ich, was respektlose Kommentare von unfreundlichen Lesern anrichten. Leser, deren Kommentare treffen, weil sie sarkastisch sind, verletzen und vor Gemeinheit triefen. Ich danke euch, dass ihr so offen, manchmal kritisch, aber immer freundlich auf diesem Blog kommuniziert. Das ist wertvoll und schön.

5. Mutter ohne Lohn. Das ist so ein Thema, bei dem ich noch nicht weitergekommen bin. Ich denke, es gibt die Tage nochmal Marmelade. Oder ich nehm die Schere in die Hand.

Wie macht ihr das mit dem Denken? Was habt ihr für Strategien, um eure Gedanken auf den Punkt oder zumindest in eine überschaubare Reihenfolge für euch persönlich zu bekommen? Schreibt ihr sie auf? Setzt ihr sie um?

9 Gedanken zu „Zeit zum Nachdenken“

  1. ja, manchmal ist es nicht so einfach mit dem „Denken“ – zwischen vielen Terminen und Alltagsallerlei gibt es nicht so viele Zeitfenster zum Nachdenken. Am besten ist für mich Laufen oder wie bei Dir Aufräumen (funktioniert aber nur im Keller). Die besten Gedanken kommen bei mir jedoch kurz vor dem Einschlafen – und morgens sind sie leider auch schon weg.

    LG Julia

  2. Bei mir geht denken am besten im Gespräch (zB mit dem Mann). Oder tatsächlich beim Laufen oder Tun. Aber es gibt kein Patentrezept und kein Thema, wo ich mir jetzt vornehme, drüber nachzudenekn und dann produziere ich verwertbare Gedanken.

  3. @Julia: DiktierGerät neben dem Bett? Oder Stift und Papier? Mir passiert das manchmal auch. Dann ist der Ärger richtig groß. Oder ich trainiere mein Hirn und denke immer und immer wieder dran, damit ich es nicht vergesse.
    @Ramona: Stimmt. Gespräche sind manchmal auch hilfreich. Manchmal habe ich jedoch immer wieder den Eindruck, dass viele Menschen genauso – wie bei dir beschrieben – nachdenken und Wertvolles produzieren. Na ja. Bei mir klappt’s nicht.

  4. Viele „stupide“ Tätigkeiten haben etwas meditatives. Dinge, die man einfach so tut ohne sich richtig konzentrieren zu müssen… Bei mir ist das übrigens Unkraut zupfen, Blumen beschneiden, umtopfen… hach! :-)

    Rage, Deine Vegetarier-Gedanken kann ich nur bestätigen. Bin schon seit Jahrzehnten Vegetarier und habe mich eigentlich an diese Diskussionen gewöhnt.
    Nur ist es in letzter Zeit anders als früher: Durch die öffentliche Debatte über Fleischkonsum oder gar einen Trend zur veganen Ernährung, scheinen sich viel mehr Menschen mit dem Thema zu beschäftigen und schlimmer noch… sich irgendwie angegriffen zu fühlen.
    Mir ist es selbst seitens meiner Familie im letzten Jahr häufig passiert, dass man mich deshalb angefeindet hat. Dabei habe ich überhaupt nichts zum Thema gesagt. :-(

  5. Hallo rage,

    ich halte es ähnlich wie Ramona und führe viele Gespräche mit Herrn Weh. Der ist ein großer Denker und (im Gegensatz zu mir) mit deutlich mehr Ruhe gesegnet.
    Eigene Gedanken verschriftliche ich häufig und ergänze sie – manchmal erst Monate später. Das zeigt mir Entwicklungen auf, im Alltag aber auch in den eigenen Denkmustern.
    Viele Gedanken kreisen um meine Kinder. Diese Gedanken nehme ich mit ins Bett, wälze sie über Nacht hin und her und lasse mich von ihnen am Morgen begrüßen. Meine eigene Mutter meint, das bliebe so. Hmm.

    Das Buch, das du vorstellst, klingt interessant, denn auch hier ist das Essen seit geraumer Zeit ein Thema. Vielleicht lege ich es mir zu. Gerade habe ich Karen Duves „Anständig essen“ gelesen, sicher auch ein Buch für dich.

    Missgunst im Netz bin ich bisher so wie du glücklicherweise immer nur am Rande begegnet. Die Leser, die meinen blog begleiten, tun dies auffallend freundlich und herzlich. In fast drei Jahren hatte ich insgesamt nur zwei Beiträge von Lesern, die ich nicht freigeschaltet habe, weil sie jeglichen Anstand vermissen ließen. Insgesamt möchte ich das Bloggen und die dadurch entstandenen Kontakte nicht missen.

    Einen schönen Sonntag für euch – ich habe nach dem Lesen deines Beitrages wirklich keine weitere Entschuldigung, ich MUSS jetzt Zeugnisse schreiben ;-)
    Herzlich,
    Frau Weh

  6. @Emi: Anfeindung ist schlimm. Soweit ist’s bei uns noch nicht. Noch lässt jeder jeden stehen. Dennoch finde ich es erstaunlich und erschreckend, dass mir das vorher nicht so klar war. Essen ist mehr als NährstoffAufnahme. Es ist heute echt so eine Art ImageBeitrag. Durch meine Art des Essens definiere ich mich. Sage etwas über mich aus. Unterschwellig führt das dann vielleicht zu Distanz und Zurückhaltung, wenn man mit anderen EssWeisen konfrontiert wird.
    Am Wochenende wurde mir schmerzlich bewusst, dass diese Konfrontationen auch von der anderen Seite kommen können. Auf der einen Seite die konservative und traditionelle EssVerwandschaft. Auf der anderen Seite die „im Trend liegenden“ VeganerMenschen im Netz. Das sind jetzt nur Beschreibungen der Extreme!!! Ich weiß, dass viele, viele Menschen sich auch stehen lassen und gelernt haben, dass Schubladen beengend sind. Auch die Schubladen für die Mitmenschen, auf die man trifft und die man kategorisiert. Aber tatsächlich kann man theoretisch von beiden Seiten schräg angeschaut und als inkonsequent, ethisch nichtkorrekt oder als Trendsetter bezeichnet werden. Ich muss hier erst noch meinen und dann unseren Weg als Familie finden. Denke ich.

    @Frau Weh: Danke für den BuchTipp. Ich werd mich mal auf die Suche in unserer Bibliothek machen. Dein Nachdenken sieht so aus, wie ich mir manchmal denke, wie es auch bei mir aussehen müsste. Das Mitschreiben und Nachschlagen. Aber dafür bin ich einfahc zu chaotisch. Vielleicht sind aber auch diese BlogPosts eine Art Nachdenken…

    Schöne RestWoche euch allen!

  7. Crazy, oder? Ich bin schon ewig Vegetarier. Früher musste ich mich vor den Fleischessern rechtfertigen, heute auch noch vor den Veganern. ;-)

    Ich finde ein veganes Leben sehr erstrebenswert, habe nur ein ausgeprägtes Laster für Käse und selbstgemachten Joghurt. Soooo lecker, ich kann nicht anders! Die arme Kälbchen und deren Muttis tun mir auch sehr leid, aber ohne, ganz ohne… Oh bitte… So lange ich keinen veganen Ersatzkäse gefunden hab, der so wunderbar fettig und stinkig beim Überbacken zerfließt… Sch** dafür hasse ich mich manchmal selbst!

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