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Der Moment als ich freundlich zu mir wurde…

veränderte, mein Leben. Verändert – muss ich wohl eher schreiben.

Was ist passiert?

In den vergangenen Wochen sind viele Dinge geschehen, die mich haben aufhorchen lassen. Das Gefühl, dass irgendetwas in Schieflage geraten sein könnte, machte sich mehr und mehr breit. Beobachtete ich den Umgang anderer Menschen miteinander oder aber ihre Reaktionen auf Lebenssituationen, war ich

  • erstaunt
  • vor den Kopf geschlagen
  • verwirrt
  • skeptisch
  • neidisch
  • nachdenklich
  • begeistert
  • manchmal sogar nacheifernd

und stellte meine eigenen Reaktionen in Frage. Bis es plötzlich um meine Kinder ging.

Mein bisheriges Verhalten und Reagieren

Es ist schon wirklich lange her, aber da sagte mal jemand: „Rage, du hast die Gabe der Freundlichkeit.“ – Ich: „Häh?“ – Die Person: „Ja.“ – Ich: „Ok, danke! Das ist voll nett.“ und wurde rot.

Was soll das heißen? Freundlichkeit? Das ist man doch einfach. Dazu bedarf es doch nichts. Das gehört sich doch so. Nur so kommt man weiter. Oder auch nicht. Oder auch nicht?

Also war ich eigentlich nur freundlich und meinte es gar nicht ehrlich? Nein! Eben nicht. Wenn ich freundlich bin, dann ist das immer ernst und ehrlich gemeint. Vielleicht war das ja der Unterschied? Die kleine, aber feine Nuance, die dieser anderen Person als „Gabe der Freundlichkeit“ aufgefallen war? Ehrlichkeit spielt bei Freundlichkeit also auch irgendwie eine Rolle. Ist eine entscheidende Komponente der Komposition des „freundlich Seins“.

Ich kam mit meinen Gedanken dbzgl. einfach nicht von der Stelle. Dann erhielt ich  irgendwann noch das Feedback: „Wow, du bist so ehrlich. Aber pass auf, dass du dich damit nicht selber belastest. Dir ins Bein schneidest. Dich angreifbar machst.“ Das hatte damals gesessen. Denn, ja: Ich wusste, was gemeint war. Wenn man aus Freundlichkeit oder Ehrlichkeit auf Dinge hinweist und dann das Nachsehen hat. Kenn ich. Oder wenn man plötzlich das Gefühl bekam, so manch anderer denkt: „Mit ihr kann man’s ja machen…“

Das Problem war nur: Ich konnte nicht anders. Bis heute kann ich nicht anders. Damals merkte ich, dass einer der entscheidenden, in der Kindheit verinnerlichten Glaubenssätze war: „Sei ehrlich.“ Und auch: „Sei freundlich.“ Ein Teil von mir, der sich nicht einfach so abstellen lässt und mit dessen „Nachteilen“ ich leben gelernt habe. Eine Palette voll mit Gewissensbissen, schlaflosen Nächten, schlechten Träumen, Selbstzweifeln und was sonst noch so dazugehören kann. Die positiven Aspekte haben diese Nachteile bislang immer irgendwie ein wenig in der Waage halten können. Doch dann wurde alles anders.

Bis es um meine Kinder ging

In den ersten Jahren meines Lebens mit Kindern begann ich ähnliche Glaubenssätze zu „predigen“. Bis ich dann in Situationen geriet, in denen ich merkte, wie sehr meine Kinder eigentlich unter diesem „Sei freundlich.“ litten.

Versteht mich nicht falsch. Noch immer sind Ehrlichkeit und auch Freundlichkeit mir sehr wichtige Werte. Aber nicht im Sinne von Selbstaufgabe und immer und immer wieder schlucken. Das eigene Schlucken von Ärger und Ungerechtigkeit mag ja noch funktioniert haben. Doch wenn du deine Kinder dabei beobachtest und ihr Unglück wahrnimmst und ihr Leid spürst, ändert sich da was in dir.

Starke Persönlichkeiten heranwachsen zu lassen, indem ihnen so stark die „Freundlichkeit“ gegenüber anderen Menschen abverlangt wird, funktioniert m.E. nur mit viel Schmerz. Schmerz, den ich meinen Kindern nicht abverlangen möchte. Was heute viel, viel mehr gelernt werden muss, ist die Freundlichkeit gegenüber sich selber. Zumindest entspricht diese Aussage meinen persönlichen Erfahrungen und denen, die ich bei meinen Kindern erlebe. Dazu gehört auch, dass man sich wehren lernt und das guten Gewissens darf. Wie auch immer das konkret aussieht. Natürlich sucht man einen „friedlichen“, adäquaten Weg. Dennoch wird das Wehren dann auch als „Halt. Stop! Und hier geht’s nicht weiter.“ unmissverständlich kommuniziert. Auf diese Weise bin ich auch freundlich zu mir, lasse nicht alles mit mir machen.

Sei freundlich zu und mit dir

Wie kann es nun sein, dass man anderen Menschen gegenüber als so freundlich eingeschätzt wird, doch zu sich selber gar nicht so freundlich ist? Das ist für mich noch immer ein Phänomen und ich habe keine Antwort darauf. Gesund erscheint es mir allerdings nicht. Denn

  • immer das höchste Maß an Disziplin von sich selber einzufordern,
  • Fehler und die Gründe für dumm gelaufene Situationen immer bei sich zu suchen,
  • immer und überall versuchen, es allen recht zu machen und für ein hohes Maß an Harmonie zu sorgen,
  • sich zu distanzieren, um nicht den Ärger von irgendwem zu schüren,
  • oder andere aus ihrer Verantwortung für Fehler, Respektlosigkeit, Ungerechtigkeiten und Schwierigkeiten zu entlassen
  • und bei all dem immer freundlich zu sein und zu bleiben

kann doch nicht gut gehen. Irgendwo braucht jeder Mal ein Ventil. Selbst wenn ich mich ärger, bleibe ich in der Regel freundlich und ehrlich. Das will ich mir auch beibehalten. Aber wieso sollte ich meinem Ärger nicht auch mal offen Ausdruck verleihen? In der Gegenwart der involvierten Person? Nicht erst, nachdem ich stundenlang darüber nachgegrübelt habe, nach einer freundlichen „Ich bin ja auch schuld“-Lösung gesucht und schließlich dieselbe demütig gefunden und kommuniziert habe.

Meine Kinder lernen in erster Linie an mir. Und ich merke, dass sie mit meiner bisherigen Herangehensweise mit Konflikten keinen guten Stand haben werden. Daher habe ich begonnen mein Verhalten zu verändern. Und siehe da, es geht mir persönlich besser.

Ich habe begonnen freundlicher zu mir zu sein. Das zeigt sich in vielen kleinen Dingen. Zum Beispiel fordere ich

  • das gleiche Maß an Freundlichkeit von anderen, wie ich es ihnen entgegen bringe. Erhalte ich das nicht, drehe ich ihnen den Rücken zu oder mache deutlich, dass ich nicht so behandelt werden möchte. (Hört sich krass an? Ich finde schon. Aber es tut mir gut und hat bislang lediglich zu Klarheit geführt. Nicht zu untergründig schwellenden Konflikten.)
  • Was ich heut nicht kann besorgen, das verschiebe ich auf morgen.
  • Sport muss wieder Teil des Alltags werden, weil es mir gut tut.
  • Ich darf Fehler machen, um zu lernen. Denn ich liebe Lernen!
  • Ich bin genauso wertvoll, wie mein Gegenüber. Genauso!
  • Ich höre auf, mich für jeden Pups zu entschuldigen. (Eine sowas von unnötige Unart.)

Das scheinen ganz lapidare Veränderungen zu sein. Doch sie sind so entscheidend. Vor allem brauchen sie viel Zeit, um ins Herz zu sickern. Und manchmal, manchmal staune ich über mich selber. Habe den Eindruck frech und konfrontativ zu sein. Aber bloß im ersten Moment. Im zweiten scheint mir meine Reaktion oder Handlung völlig gesund und natürlich. Freundlich.

Wie freundlich bist du mit dir selber? Wieviel Warmherzigkeit solltest du dir zukommen lassen?

10 Gedanken zu „Der Moment als ich freundlich zu mir wurde…“

  1. Das hast du so wunderbar geschrieben liebe Rage :-)
    Dieses Stop sagen wenn das Gegenüber nicht so freundlich ist wie man selbst und dann noch die Schuld dazu bei sich selber sucht, das zu lernen ist mitunter echt schwierig aber es lohnt sich. Denn ich mag auch nicht gerne das alle meinen, nur weil ich ein freundlicher Mensch bin der immer ein ehrliches Lächeln für alle hat, das die meine freundlichkeit einfach ausnutzen. Wie du es schon gesagt hast : „Mit der kann mans ja machen.“
    Nee sorry, das lass ich mitlerweile auch nicht mehr mit mir machen. Dann kann ich auch mal ziemlich unfreundlich werden, aber das ist dann die Freundlichkeit mir selbst gegenüber, um nicht im Strudel der Negativen Gefühle und Gedanken unterzugehen.
    Was du noch schreibst das du deine Kinder auch zu freundlichkeit angehalten hast und sie dadurch aber viel Schmerz erfahren kann ich bestätigen. Meine große Tochter hatte auch gelernt das man freundlich ist und sich nicht haut usw. und dann kam sie in die erste Klasse und muste erleben das dort ein Kind einfach ihren Schulranzen aufgemacht hat und sich ihre Stifte unter den Nagel gerissen hat. Meine Tochter war so traurig und enttäuscht weil sie sowas nicht erwartet hatte :-( Es hat gedauert ihr beizubringen das man sich auch wehren muss und darf wenn andere nicht nett zu einem sind. Ich kann dich nur positiv bestärken darin den Jungs auch beizubringen sich zu wehren, denn den Schmerz der eigenen Kinder zu erleben ist wirklich schlimm. Es heißt ja auch nicht das man seine Kinder zu Schlägern und Egoisten erzieht, sonder man will ihnen ja nur ein gutes Selbstbewußtsein beibringen damit sie in unserer Ellenbogengessellschaft nicht unter gehen.

    Ich wünsche euch ein schönes Wochenende
    ganz liebe Grüße
    Aurelia

  2. Ich oder die anderen? Sich abgrenzen können, ist ein wichtiges Thema. 2-3 mal im Jahr habe ich einen Hardcorefall zum Üben. Da bin ich dann dankbar drum. Im Nachhinein. Auch wenn es mich erst viel Kraft und Nerven kostet. Erinnert mich an meine Tochter mit 1,5 Jahren in der Kita. Am ersten Tag ließ sie sich Spielzeug aus der Hand reißen. Am zweiten Tag hat sie es festgehalten.

  3. Der Beitrag spricht mir aus der Seele. Das sind Gedanken, mit denen ich mich auch schon seit einer Weile trage und versuche, daran zu arbeiten. Aber so richtig gut funktioniert es nicht: entweder finde ich noch nicht immer das richtige Maß oder mein Gegenüber ist so perplex über meine Verhaltensänderungen. Ich weiß nicht woran es liegt, aber mein Versuch, nicht alles mit mir machen zu lassen, führt schon manchmal zu Krach. Das find ich doof, aber ich bin doch froh, dass sich etwas verändert.
    Ich find es auch cool, diesen Text gerade jetzt auf deiner Seite zu lesen. Denn neulich habe ich wieder an einige, ein paar Wochen zurückliegende, Beiträge gedacht, in denen du so unzufrieden und ratlos wirktest. Das schien sich aber verändert zu haben und hier ist jetzt auch die passende Erklärung.

    1. Ja, du hast recht. Es hat sich tatsächlich was getan, wenn ich über mein Bloggen nachdenke. Ich fühle mich gerade zwar auch wieder sehr müde von den letzten drei Tage und der langen Krankheitsphase, in der wir uns jetzt schon wieder befinden. Doch diese Erschöpfung, die nicht von mentalen und seelischen Auseinandersetzungen herrührt, lässt sich ganz gut in den Griff kriegen. Viel Schlaf, frische Luft, runter fahren und gesundes Essen.
      Diese Entscheidung freundlicher mit mir zu sein, hat mir wirklich gut getan. Aber vollkommen in seiner Gänze umgesetzt, habe ich das noch nicht. Das wird bestimmt noch was dauern und ich hoffe, dass auch du deinen Weg dbzgl findest. Es ist wirklich erstaunlich, wie viel Gelassenheit sich in das eigene Leben einschleichen kann, wenn man freundlicher mit sich selber ist. Ich versuche mir zB. auch Fehler und Fettnäpfchen nicht mehr allzu Krumm zu nehmen. Die passieren halt einfach. Nich?!!

    2. Es ist halt schon so, dass wenn sich ein „Spieler im Spiel des Miteinanders“ ändert, das die anderen auch mitbekommen. Und sich erstmal umgewöhnen müssen. Und vielleicht finden sie es auch doof. Aber das ist ok. Ich bin nicht auf der Welt, um den anderen zu gefallen :-) … keine/r ist das :-) …. aber nicht allen ist das klar. Und manchmal müssen die „Mitspieler“ das Konflikte lösen ja auch erstmal lernen, wenn sie sich nicht mehr durch schlichtes Nachgeben des gegenübers von alleine lösen sondern in aller Deutlichkeit sichtbar, erkennbar, fühlbar werden. … dann können alle was lernen. … und müssen …

  4. Wow! Ich bin erstaunt, dass es noch so viele andere Frauen gibt, denen es auch so geht. In der Regel bin ich immer ganz erstaunt und bewundere andere wie easy ihnen das von der Hand geht, sich trotz Unstimmigkeiten einzubringen. Dieses „dicke Fell“, von dem man spricht. Oder „Dinge nicht zu ernst zu nehmen“, „darüber hinwegzusehen“ oder einfach „nicht zu sensibel“ zu sein. Vielleicht schätze ich das bei anderen doch viel zu oft falsch ein.
    Danke für euer Feedback.

  5. Hallo Rage,

    fühl dich einfach bestärkt bei deiner Veränderung. Ich mache zur Zeit eine „soziale Kontakte“-Diät und das tut mir unheimlich gut mal nicht erreichbar für andere zu sein, sondern nur meine beiden Lieben um mich zu haben. Mein Engagement und liebsein wird von ihnen auf jeden Fall geschätzt – alle anderen aus meinem Umfeld nutzen mich oft nur aus und machen dann auch noch zusätzlich Vorwürfe. Seit ich mich abgrenze (innerlich und äußerlich) denke ich nur noch „Ja und?! (Du kannst mi** ***)“. Ob ich danach noch viele Freunde haben werde? Die Frage ist dann doch viel eher: Wem will ich etwas beweisen?

    Liebe Grüße,
    Maren

  6. Pingback: Jahresmotto 2016 | MamaDenkt.de

  7. Hy,
    irgendwie voll witzig, dass jemand mit dem Namen „Rage“ eigentlich viel zu freundlich ist :-) …
    Danke für den Text! Dir geht es damit ja echt nicht alleine so. Und wie gut, wenn man merkt und umsetzt, dass man selbst genauso viel Freundlichkeit wert ist wie alle anderen!

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