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Flüchtlinge

Bislang hatte ich das Glück, in meinem Umfeld keinerlei Fremdenfeindlichkeit und damit auch irgendwie Menschenfeindlichkeit ausgesetzt zu sein. Ich war erschrocken und entsetzt über das, was so manch andere/r BloggerIn im Netz, auf der Straße und im Freunde- oder Bekanntenkreis erlebt. Doch außer wirklicher Ängste vor der aktuellen Situation, diesem Brodeln in den verschiedenen Menschenkreisen, weil man nicht weiß, wie jetzt was gemanaged werden kann, kannte ich niemanden, der abwertend seine Stimme erhob. Denn Angst vor dem Fremden oder Veränderungen kann ich erstmal nachvollziehen. Die Frage für mich bleibt, wie gehe ich damit um? Wie gesagt, bislang ging es mir so.

Bis mich dann letzte Woche gleich zwei krasse Dinge aus den Socken gehauen haben. Zwei Situationen, in denen ich so vor den Kopf geschlagen war, dass ich gar nicht wusste, was ich dazu sagen sollte?!? Ja, ich hätte aufstehen und auf die Barrikaden gehen können. Meinem eigentlichen Ziel und Wunsch, dass viel, viel mehr Verständnis flüchtenden Menschen entgegengebracht wird, wäre das allerdings nicht zugute gekommen.

Einmal stand ich an der Haltestelle und jemand meinte, „Jetzt sind die Flüchtlinge auch hier.“ Der Kopf wies in die Richtung eines Hauses, in dem immer mal wieder Wohnungen an „Kurzreisende“ vermietet wurden. Ich meinte neugierig: „Ja?“ und hatte zu dem Augenblick noch nicht die besondere Tonart wahrgenommen, die aber schon beim zweiten Satz mimisch dargestellt wurde. „Ich dachte, ihr wisst das?“ – „Ehm nein.“ – „Ja, ja doch. Die sehen so aus.“

Aha. Wie sehen Flüchtlinge denn aus? Muss jetzt jeder deutsche Mitbürger, der Wurzeln im Nahen Osten hat, davon ausgehen, eben „so auszusehen“?!! Jedenfalls endete das Gespräch abrupt als der Bus kam. Doch noch während der Bus anhielt, fing die Person wieder an, ihren abfälliges Gespräch über Flüchtlinge fortzusetzen: „Jetzt wird es hier nicht mehr so ruhig. Ich weiß das.“ – „Wieso, ich…“ – „Ja, ja. Ich weiß das…“

In dem Moment kam eine Schar Kinder aus dem Bus gestiegen und ich vergass für einen Moment, was mir da gerade passiert war. Erst zu Hause ging mir durch den Kopf, was das für ein Gespräch war. Ich musste mich unweigerlich fragen, warum ich nicht klaren Standpunkt ergriffen hatte? Ich frage mich, ob das Sinn gemacht hätte. Dass ich nicht ihrer Meinung war, das wird die Person bemerkt haben. Aber dass ich Stellung beziehe, das hat mir gefehlt.

Die nächste Situation ereignete sich auf facebook. Klar, dort finden eine Reihe von verbalen Hetzjagden statt. Es ist so viel einfacher hier in einem Zimmer zu sitzen und ein paar fiese Sätze in die Welt zu posaunen als im RealLife Stellung zu beziehen und für seine innere Haltung gerade zu stehen; siehe ich. Dennoch. Plötzlich wird das SchulessensGeld zum Thema. Menschen beschweren sich, dass der Staat das nicht übernimmt, sich dafür aber kurzfristig für „Asylanten“ einsetzt. Und das mehr schlecht als recht. Ich kann es nicht verstehen. Nie, nie, nie ist das Thema. Und jetzt werden diese populistischen Rufe laut. Größere zusammenhänge werden einfach nicht mitbedacht. Es geht nur darum, wieviel jeder vom einen Kuchen abbekommt. Solidarität ist nur noch begrenzt möglich.

Vor etwa anderthalb Jahren habe ich ein Buch gelesen, dessen Rezension ihr hier nachlesen könnt. Es geht eigentlich um Klimaveränderungen, Klimawandel und den damit verbundenen katastrophalen Veränderungen. Dass unsere Enkelkinder beispielsweise keine echten Tiger oder Gorilla mehr zu Gesicht bekommen könnten. Dass sie keinen Schnee mehr kennen, dafür aber regnerisches Wetter. In dem Buch gibt es eine Szene, in der die Protagonistin aus ihrem Zimmerfenster nach draußen blickt und eine Karawane von Kamelen durch den Regen läuft. Der Schauplatz ist Norwegen. Das Klima wird sich verändern und auch die gut bewohnbaren Landstrich. Und natürlich wird das Flüchtlingsströme mit sich bringen. Männer, Frauen und ihre Kinder, die wirklich keine Existenz mehr in ihrem Land haben. Denen die Lebensgrundlage fehlt. Der Klimawandel wird einer dieser Gründe sein. Kriege und kriegerische Auseinandersetzungen auch.

Und da nehmen wir uns wirklich heraus, uns über das ausstehende SchulessensGeld zu beschweren, während wir unsere Kinder gleichzeitig mit „Made in China“ KunststoffPferdchen überhäufen?!

Das, was sich gerade in der Welt, in Europa und auch in Deutschland abspielt ist eine Katastrophe. Es ist so unendlich zu kurz gedacht. An allen Ecken und Enden. Natürlich suchen sich Menschen die Orte zum Leben, die gut sind. Natürlich sind da weniger und mehr gute Menschen bei. Genauso wie hier in Deutschland weniger und mehr gute Menschen leben. Ich versuche mal ganz einfach zu formulieren. Entschuldigt, wenn die ein oder andere Pauschalisierung auftreten sollte. Wir sammeln diese Menschen in Unterkünften, statt uns Gedanken darüber zu machen, wie echt Integration aussehen könnte.

Manchmal überkommt mich das Gefühl und die Befürchtung, dass die Stimmung kurz davor ist zu kippen. Menschen, deren Lebensbedingungen schlecht sind und waren, die eine lange Flucht hinter sich haben, werden auf einem provisorisch eingerichteten Ort zusammengepfercht. Was wäre denn, wenn man diese Unterbringungsstätten einfach mal dezentralisiert?

Mir gehen dabei 1000 Dinge durch den Kopf, obwohl unsere Lebenssituation aktuell auch nicht die einfachste ist. Was ich aber nicht verstehe, wie man (als Bürger, Politiker und Mensch) die Augen zumachen kann und sogar hetzen, anstatt nach guten Lösungen für alle zu suchen? Ich versteh es nicht.

Zum Glück entdecke ich aber auch Menschen, die klare Standpunkte für diese flüchtenden Menschen beziehen. Im Netz, wie auf der Straße. Zum Glück. Da gibt es Polizisten (gehen wir mal davon aus, dass er wirklich einer ist) und auch Caféhaussitzer. Nicht zu vergessen Aktionen wie diese: #bloggerfürflüchtlinge, ins Leben gerufen von  Nico Lumma, Stevan Paul, Karla Paul und Paul Huizing.

Außer Hetze, schwere Auseinandersetzungen, Verletzungen jeglicher Art und eine Nichtlösung unserer globalen Schwierigkeiten wird diese Polarisierung nichts bringen.

6 Gedanken zu „Flüchtlinge“

  1. „Außer Hetze, schwere Auseinandersetzungen, Verletzungen jeglicher Art und eine Nichtlösung unserer globalen Schwierigkeiten wird diese Polarisierung nichts bringen.“

    Ich glaube schon. Diesen Leuten bringt das nämlich a) ein gemeinsames Feindbild und damit b) ein Ziel und damit wieder c) ein Gefühl von Sicherheit etwas richtiges zu tun.

    Ich habe mich unlängst mal wieder mit so einem Hetzer unterhalten. Mühsam war das. Die leben einfach in einer anderen Welt. Das größte gemeinsame Problem, dass ich bei den meisten wahrgenommen habe war ein mangel an kritischem Denken (u.a. über die eigene Wahrnehmung und das eigene Weltbild) und an Selbstreflexion. Ich glaube alles weitere findet hier seine Ursache.

    Übrigens (das ist nicht so off topic, wie es vielleicht wirkt, beim ersten Lesen) finde ich das unglaublich beeindruckend, wie du als Mami trotzdem noch politisch aktiv bist. Kenne ich sonst nicht. Danke!

    1. Aber dass das für derartiges Verhalten ausreichen kann… das finde ich erschreckend. Danke übrigens für die Blumen. Auch wenn du Recht hast – politisch aktiv fühle ich mich nicht wirklich. Trotzdem danke! Ich hab halt drei Kinder, denen ich hoffentlich auch etwas Gutes vorleben und hinterlassen kann.

      1. Nichts zu danken, das hast du verdient.

        Und zur weiteren Beruhigung: Ich kenne von all den politisch aktiven sehr wenige, die das Gefühl haben sie tun genug. Eine gewisse Rastlosigkeit ist da üblich – auch bei Nicht-Eltern :D

        Wenn mir Mamis erzählen, dass sie weil sie (meist 1-2) Kinder haben, keine Zeit haben sich auch noch um Politik zu kümmern, verweise ich oft auf deinen Blog. Nicht in der Absicht, sie da unter Druck zu setzen im Stil von „du musst das auch können“, sondern nur um sie dazu zu bewegen, mal drüber nachzudenken was hinter dem nichts tun steckt.
        Am Ende stelle ich dann oft fest, dass die Leute sich rausreden und schlicht nicht sagen wollen, dass sie das nicht interessiert und sie keine Lust haben sich um andere Leute auch noch zu kümmern – das klingt denen dann doch zu boshaft. Oder die klassische Vermeidung von kognitiver Dissonanz. Das geht wirklich am einfachsten, wenn man sein Weltbild möglichst frei von Fakten hält :D Und wer jenseits der Parteipolitik politisch aktiv ist, schafft das meist nicht lange faktenfrei zu bleiben.

        „Ich hab halt drei Kinder, denen ich hoffentlich auch etwas Gutes vorleben und hinterlassen kann.“
        Ich meine, das hast du schon jetzt beides getan – just fyi.

  2. Ich habe mich mal mit einer Hetzerin unterhalten und die meinte nur, dass sie Angst hat, das die Flüchtlinge nicht mehr in ihr Heimatland zurückkehren. Vorübergehende Asyl gewähren wäre das eine und ass die dann womöglich noch bleiben wäre das andere. Ich fand diese Gedanken sehr befremdlich.

  3. @Sabine: befremdlich passt. Ich glaube hinter vielen diese Ängste steht die Angst vor dem Fremden. Und ich glaube weiter, dass das einer der vielen Punkte ist, wo wir einfach nicht genügend vorbereitet sind. Weder gesellschaftlich, noch gesetzlich noch wirtschaftlich. Da hat sich einfach keiner Gedanken drum gemacht. Es gab ach so viele Dinge, die ja scheinbar viel, viel wichtiger waren. Das ärgert mich an der aktuellen Situation am meisten.
    Denn irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich die Welt, wie wir sie kennen, ändern wird. Und das nicht nur wegen 800 000 aktuellen Flüchtlingen. Klimawandel, Kriege, wirtschaftliche Ungerechtigkeiten werden dazu führen, dass Bevölkerungen sich verschieben werden. Ich wiederhole mich. Aber ich denke, dass wir noch agieren können. Reagieren finde ich in dieser Situation wirklich schwierig.

    @maybee: Mal schauen, was die Kerle sagen werden, wenn sie von diesem OnlineTagebuch hören… Ich danke dir jedenfalls sehr für deine Mut machenden Worte. Das tut mir in der aktuellen Situation sehr gut.

  4. Meine Erfahrung ist leider dass es sehr schwer ist sich mit solchen Menschen zu unterhalten, da sie nicht wirklich zuhören und sich auch nicht auf ein wirkliches Gespräch mit ihrem Gegenüber einlassen wollen, bzw. einfach nicht zuhören.
    Ich sollte es trotzdem weiter versuchen, aber ich machs halt auch nicht immer …

    Oft steckt glaube ich nur Angst in diesen Menschen. Angst vor dem Unbekannten und vor allem Angst vor Veränderung.

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