In den letzten Wochen ist es hier relativ ruhig geworden. Damit meine ich auch und insbesondere die Themen rund um Erziehung und Kinder auf meinem Blog – und wie wir hier zusammen alle klarkommen. Allerdings fällt mir auf, dass das auch im echten Leben tatsächlich der Fall ist. Hier zu Hause. In unseren vier Wänden. Es ist ruhiger geworden.
Vor etwa einem Jahr habe ich mich mit der Thematik im Titel des Blogposts schon einmal auseinandergesetzt. Ich dachte bis eben, dass sich in mir viel, viel verändert hat, aber dem ist gar nicht so. Zumindest nicht an der Grundhaltung.
Gedankenchaos
In meinem Kopf herrscht ein großes Gedankenchaos. Ich weiß gerade noch nicht so recht, wie ich was will. Angefangen hat alles mit unserer Brüllfalle vor zwei Jahren. Damals empfahl mir irgendjemand neben Jesper Juul auch Alfie Kohn und sein Buch „Liebe und Eigenständigkeit“. Das Buch lag lange Zeit hier herum, bis ich Ende letzten Jahres auf eine große Studie hingewiesen wurde. Die Familienstudie.
Familienstudie
Dabei handelt es sich um eine Studie, die unter christlichen Familien durchgeführt wurde. Es geht um Fragen der Erziehung, das Bild von Familie und Kindern und einiges mehr. Alles im Kontext der christlichen Familie Ich wurde gefragt, ob ich am Schreiben eines Praxisbuches zu dieser Studie teilnehmen möchte. Ich war erst ziemlich unentschlossen. Hallo? Ich habe bislang keinen wirklich Erziehungsratgeber gelesen und ich sollte was mitschreiben?
Liebe und Eigenständigkeit
Jedenfalls habe ich mich in diesem Zuge mit zwei Themen auseinandergesetzt, die mir das Buch wieder in die Hände fallen ließen. Auf einmal merkte ich, dass mir die Erziehung meiner Jungs nicht gefiel. Meine langfristigen Ziele für sie, passten nicht mehr zu der Art der Umsetzung. Mal vorausgesetzt, dass Erziehung sich überhaupt so planen lässt. Und vorausgesetzt, dass ich meine Kinder überhaupt erziehen wollte. Denn irgendwann hatte ich ja schon einmal den Artikel Beziehung statt Erziehung für mich verfasst. So ganz neu, war das alles nicht für mich.
Langfristige Ziele
Was waren denn meine persönlichen langfristigen Ziele in dem großen Pott von Erziehung? Was wünschte ich mir für K1, K2 und K3? Meine Antworten darauf waren relativ schnell klar:
1. Sie sollen sich geliebt wissen und fühlen und
2. selbstständige, selbstbewusste Persönlichkeiten sein.
Wie wollte ich dorthin kommen? Vor allem wie, ohne meine Kinder in irgendeiner Form zu zwingen das zu tun, was ich von ihnen wollte? Ohne „Wenn-Dann“-Keule. Ohne Bestrafungen. Sogar ohne Loben.
Der Weg zur Selbständigkeit
Um ganz ehrlich zu sein: Das „Wie?“ habe ich immer noch nicht ganz klar. Es ist mir auch nicht gelungen für mich zu klären, wie ich an diesen Punkt komme. Wie ich mit meinen Kindern diese Ziele erreichen können werde.
Also habe ich begonnen, neben der Suche nach unserem richtigen „Wie?“ per Ausschlussverfahren vorzugehen. Dabei fielen ganz viele Dinge, ganz schnell hinten runter. Auch Verhaltensweisen und Erziehungsmaßnahmen, die wir sowieso nicht umgesetzt haben, aber selber Teil unserer Erziehung (von mir und meinem Mann) gewesen sind.
- Liebesentzug
- Ohrfeigen
- Stubenarrest
- Kochlöffel
- Brüllfalle
- „Wenn-Dann“-Keule
- Strafen in irgendeiner Form
Beziehung leben
Während wir manche dieser Dinge rausstrichen, wurde Platz für anderes. Aber womit lässt sich dieser Freiraum neu füllen? Was folgt statt dessen?
Beziehung? Fragezeichen? Stottern? Inkonsequent sein? Grenzüberschreitungen der Kinder? Blödes aus der Wäsche gucken meinerseits?
Ruderboot fahren
Genau so fühlt es sich zwischen drin immer wieder an. Wir rudern auf der Stelle, schön im Kreis. Wir müssen uns gerade erst alle daran gewöhnen, wie mir scheint.
Die Kids scheinen erstaunt, dass etwas anders ist. Was das genau ist, können sie glaube ich noch gar nicht in Worte fassen. Wie auch, wenn noch nicht einmal mir das gelingt und ich auch nicht so recht weiß, was anders ist.
Auslöser für Konflikte
Warum kommt es überhaupt zu Konflikten mit unseren Kindern? Wieso werde ich laut? Wieso sitze ich plötzlich auf der Palme? (Ich spreche von mir und meinen relativ kleinen Kindern. Wie das in der Pubertät werden wird – …) Wenn mich das vor ein paar Monaten jemand gefragt hätte, dann hätte ich folgendes festgestellt:
- keine Zeit – zu viel Eile
- keine Flexibilität – zu viel stur sein
- kein Bewusstsein über langfristige Ziele – viel zu viel Jetzt im Sinne von elterliche Kontrolle ausüben und meinen Willen durchsetzen
- keine Sanftmut – Unterstellen, dass Kinder uns ärgern wollen/Grenzen austesten
Deswegen kommt hier gerade ziemlich viel ins Rollen. Ich schmeiße gerade wirklich viele Dinge über Bord. Dazu zählt der eigene erfahrene Liebesentzug, die Brüllfalle, in die ich vor zwei Jahren getappt bin, und so manch andere bislang unhinterfragte Erziehungsregel.
Alles weg und jetzt mach ich meins. Klar, es gelingt nicht immer. Dafür trage ich dieses andere Zeug vielleicht schon zu lange mit mir herum. Aber es gibt ein paar Vorschläge von Alfie Kohn und eine Gruppe auf facebook, die mich gerade häufig im Alltag begleiten und Mut machen, es einfach mal anders auszuprobieren. Nehmt es als Gedanken rund um Erziehung und Beziehung zu unseren Kindern. Es sind keine Ratschläge! Erstmal geht es nur um Anregungen.
Heute Abend habe ich beschlossen, euch daran teilhaben zu lassen. Denn vieles von dem, was hier gerade passiert, finde ich total positiv und möchte euch gerne Anteil daran haben lassen. Sofern es euch interessiert und ihr eigene ganz andere Gedanken dazu habt, freu ich mich über konstruktive Rückmeldungen.
Liebe Rachel
ein toller Beitrag. Da finde ich mich wieder. Ich habe viele Erziehungsratgeber gelesen, und tue es auch immer wieder, auch, wenn ich weiss, dass ich letztlich meinen eigenen Weg finden muss.
Deine Analyse, warum es nicht immer klappt, finde ich super. Bei mir kommt Unausgeschlafenheit dazu. Auch, und das schreibst Du an anderer Stelle, dass wir selbst mit ganz anderen Massnahmen gross geworden sind.
Ich muss mich immer wieder daran erinnern, nachsichtig mit mir zu sein. Es gibt eben in diesem Fall keine Vorlage, kein Wenn-Dann. Ausserdem ändert sich die Dynamik ständig, weil Kinder dazu kommen, einen eigenen Charakter mitbringen, und sich so schnell entwickeln.
Eine spannende Reise und ich freue mich, mehr darüber bei Dir zu lesen.
Herzliche Grüsse
Daija
Liebe Rahel, dein Beitrag löst bei mir ein, skeptisches, Kopfschütteln aus. Wie du von meinem Blog vielleicht weißt, nehme ich Erziehung sehr ernst. Für mich bedeutet Erziehung vor allem Orientierung. Den Kindern eine Richtschnur geben. Wenn mein (kleines ) Kind mich schlägt, setzte ich es auf den Boden. Wenn der Zwerg sich beim Essen brüllend auf den Bodeen schmeißt, weil das Brot die falsche Form hat, trage ich ihn hinaus. Alle anderen Familienmitglieder haben das Recht,auf ein ungestörtes Abendessen. Ich zeige meinen Kindern auch, wenn ich sauer oder glücklich bin.
Ich habe leider viele Familien erleben müssen, in denen “ der kleine Prinz…“ Entscheiden darf/muss und alle Beteiligten unglücklich sind. Ich glaube fest daran, dass die Eltern die Familie leiten müssen und das Verhalten Konsequenzen hat: “ wenn du so mit mir redest, gebe ich dir keine Schokolade. Wendung etwas von mir möchtest, sprich freundlich mit mir!“ Das ist eine logische wenn-dann Struktur.
Auch kenne ich einige Menschen, die die Freiheit, die ihre Eltern ihnen gegeben haben, als Desintersse oder im-Stich- gelassen empfinden. Eine sagte mal zu mir, sie könne nicht mit ins Restaurant,weil ihre Eltern es versäumt hätten, ihr Tischmanieren bei zu bringen. Sie esse nur allein.
Ich stimme dir unumwunden zu, dass die von dir aufgestellten Nicht-Methoden in der Erziehung nichts zu suchen haben.
Ich bin gespannt zu erfahren, wie es bei euch weiter geht.
Juul z.B. plädiert auch dafür, dass Eltern leiten. Ich denke, wir haben alle ein unterschiedliches Verständnis davon, was das beinhaltet bzw. wie weit das geht. Leite ich, weil mir etwas am Herzen liegt oder weil ich zeigen will, wer hier im Haus das Sagen hat?
Ich bin nicht unerzogen unterwegs, mir kommen aber doch zwei Fragen:
Ist es eine logischeKonsequenz, keine Schokolade zu bekommen, wenn Kind nicht brav war? Oder einfach ein willkürliche Strafe, für ein Verhalten, das nicht meiner eigenen Vorstellung/gesellschaftlichen Konventionen entspricht?
Und: ich weiß nicht wie alt die Frau in Deinem Beispiel war, aber irgendwann kann Mensch hoffentlich selbst Verantwortung für das eigene Verhalten übernehmen. Tischmanieren sind kein Gendefekt, die kann man eigentlich jederzeit lernen, wenn man will.
Liebe Sandra, wenn mich eines meiner Kinder schlägt, dann schaffe ich auch Raum, um mich zu schützen und ich konfrontiere es mit meiner Empfindung und meinem Willen nicht geschlagen werden zu wollen.
Wie gesagt, ich habe gerade das Gefühl, dass erstmal alles auf den Tisch kommt und ich den Mut finde, Dinge wegzuwerfen, die ich für nicht sinnvoll erachte, die meinem Verständnis von Wertschätzung nicht entsprechen. Ich stelle dabei einfach fest, dass es ruhiger bei uns zu Hause wird.
Ich stimme Daija zu, wenn sie davon schreibt, dass Eltern leiten.
Das ist für mich ein ganz entscheidender Punkt: Ich möchte positiv anleiten. Denn zum einen habe ich die längere Lebenserfahrung und zum anderen gibt es Werte, wie Nächstenliebe und Selbständigkeit, die ich meinen Kindern natürlich vermitteln möchte und die keinesfalls übertreten wissen möchte. Mir fällt es auch schwer zu lesen, wenn Eltern ihre Kinder Fernsehen lassen, wie diese das wollen oder aber auch Süßigkeiten essen lassen, so viele sie wollen. Mit diesem „unerzogen“ kann ich nicht so recht was anfangen.
Die wenn-dann-Kiste finde ich inzwischen aber auch total schwierig. Sie nicht zu benutzen bzw. zu umgehen, bedeutet nicht, dass meine Kinder tun und lassen können, was sie wollen. Ich gehe auch nicht davon aus, dass sie unfähig sein werden, in einem Restaurant essen zu gehen.
Mal abgesehen davon erlebe ich gerade, dass meine Kinder sich plötzlich anders verhalten. Sie bemerken, dass ich ihnen Raum gebe, selber Position zu beziehen – natürlich altersgemäß. Denn ich gehe tatsächlich davon aus, dass ich mit einem Schulkinder schon mehr besprechen und reflektieren kann als mit einem Kindergartenkind. Nichtsdestotrotz haben sie Bedürfnisse, die durch mein verändertes Verhalten viel mehr Raum haben dürfen. Es geht nicht mehr darum, wer seinen Willen durchsetzt, sondern darum, was ich das möglichst beste für alle.
Es ist sehr schwierig darauf in einem solchen Kommentar einzugehen, weil es so vielschichtig ist. Ich würde die Aspekte lieber in den diversen Blogartikeln unterbringen und bin gespannt, was du dazu zu sagen hast. Danke für deinen kritischen Blick aufs Thema.
Ich möchte, weil ich gerade nicht mehr Zeit habe, eine weitere Buchempfehlung in den Raum werfen – Disziplin ohne Drama von Daniel Siegel und ähm… bitte nachgucken. Viele Konflikte mit Kindern haben mit der noch voranschreitenden Gehirnentwicklung von Kindern zu tun, und wenn man das verstanden hat, kann man mit einigen Situationen viel besser und entspannter umgehen. Mir hat das unglaublich viel geholfen. Ich finde es sogar besser als Alfie Kohn, den ich in vielen Punkten folgen kann, aber nicht in allen (Uta von wer ist dran mit dem Katzenklo? hat da eine treffende Rezension auf ihrem Blog zu verfasst).
Mein Empfinden ist, dass der christliche Kontext ab und an unverhältnismäßig streng und autoritär ist, ohne dass das Sinn macht bzw. auch ohne Wissen, dass heute verfügbar ist – eben z.B. das zur Gehirnentwicklung – ein Kind macht ja z.B. so ein Affentheater, wenn irgendwas die falsche Form hat oder weil die Unterhose die falsche Farbe hat etc. nicht ohne Grund und weil es seinen Eltern das Leben schwer machen will, sondern weil es in jüngeren Jahren einfach nicht auf ein neues Programm umschalten kann – Hose dreckig, ah, dann nimm ich einfach die andere. Oder Keks kaputt, kann ich trotzdem essen, auch wenn mein eigentlicher Plan war einen heilen Keks zu essen. Vieles was Kindern so mal eben erwartet wird, sind ziemlich anstrengende kognitive Leistungen, die die einfach nicht immer abrufen können.
Das heißt nicht, dass ich alles durchgehen lassen muss, aber dass ich z.B. ein Kind dann ggf. in seiner Wut begleite und ihn bei der Alternative unterstütze, oder selber einfach viel entspannter bin, auch weil ich auf einmal gar nicht mehr so viel an meinem Kind rumerziehen muss.
Führung / Leitung muss ganz klar bei den Eltern liegen, und mit dem Weg Beziehung statt Erziehung finde ich tut sie das manchmal viel besser und öfter, als wenn man sich in die Erziehungskonflikte ziehen lässt – Kinder reagieren auf das, was im System Familie passiert. Ich bin natürlich auch mal erschöpft und kann manchmal nicht mehr, aber dann gilt es meine Akkus kindfrei aufzuladen – aber im Großen und Ganzen bin ich überrascht wie entspannt das Kinderhaben laufen kann. Und ich hab hier ganz klar die Hosen an – mit einer klaren, liebevollen Linie. Ich habe auch überhaupt keine Angst oder Hemmung vor dieser Führungsrolle, sondern übernehme die.
Ich bin ein wandelnder Buchtipp, falls noch mehr Tipps als Anregung erwünscht sind: ich hätt da noch was :o)
ähm, nicht so viel Zeit, ja… das mit dem kurzfassen, das lern ich dann im nächsten Leben ;o)
Liebe Rahel,
sehr schöner Beitrag in welchem ich mich selbst auch wiedererkenne. Ich habe es mir lange Zeit verkniffen, mich zusammen gerissen und mir selbst gut zugeredet nicht zu einer Schreierin zu werden. Irgendwann kam aber der Tag an welchem ich es getan habe – und wenn dieser Punkt einmal überschritten ist, kommt man nur sehr schwer wieder davon weg. Viel zu einfach war und ist es, sich gehen zu lassen. Aber ich arbeite daran mich selbst zu beruhigen, ich versuche in Momenten in denen ich schimpfen und unfair sein will, mich an die schönsten Momente zu erinnern. Damit beruhige ich mich selbst ein wenig.
Liebe Grüße,
Monika
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